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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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lassen! Wir dürfen nicht nur an uns denken!«
    »Ja, denn sonst ... «
    »Und wir müssen dafür sorgen, dass genügend Staub für sie da ist, und das Fenster offen halten -«
    Sie zitterte. Lyra fühlte sich sehr jung, als er sie zu sich zog.
    »Wenn wir das durchhalten«, sagte er mit gebrochener Stimme, »wenn wir unser Leben anständig führen und die anderen nicht vergessen, dann werden wir auch den Harpyien etwas zu erzählen haben. Das müssen wir den Leuten sagen, Lyra.«
    »Ja, die Sache mit den wahren Geschichten«, sagte Lyra. »Die wahren Geschichten, die die Harpyien im Gegenzug hören wollen. Wenn die Menschen ihr Leben gelebt haben und danach nichts darüber zu erzählen wissen, dann werden sie die Welt der Toten niemals verlassen. Das müssen wir den Leuten klar machen.«
    »Also allein ...«
    »Ja«, bestätigte sie, »allein.«
    Und bei dem Wort »allein« spürte Will eine Welle aus Wut und Verzweiflung tief aus seinem Innern nach draußen drängen, als ob sein Geist ein Ozean wäre, den ein tiefes Beben erschüttert hätte. Sein ganzes Leben lang war er allein gewesen, und nun sollte er es wieder sein. Das unendlich kostbare Glück, das über ihn gekommen war, sollte ihm gleich wieder genommen werden. Die Welle baute sich höher und steiler auf und verdunkelte den Himmel. Er spürte, wie der Wellenkamm zitterte und sprühte, bis die Wassermassen mit dem ganzen Gewicht des Ozeans auf die felsige Küste der Notwendigkeit niederstürzten. Und er keuchte, zitterte und schrie vor Wut und Schmerz wie noch nie in seinem Leben. Er sah, wie Lyra ebenso hilflos in seinen Armen hing. Doch als die Welle ihre Kraft verausgabt hatte und sich wieder zurückzog, ragten die düsteren Felsen unerschüttert aus dem Wasser; gegen das Schicksal kam niemand an, weder seine noch Lyras Verzweiflung hatten sie auch nur um einen Zoll bewegt.
    Wie lange seine Wut dauerte, hätte er nicht sagen können. Schließlich ließ sie aber doch nach und der Ozean war nach diesem Ausbruch ein wenig ruhiger. Das Wasser war immer noch aufgewühlt und vielleicht würde es sich nie mehr ganz beruhigen, doch der große Aufruhr war vorüber.
    Sie schauten zu Xaphania hinüber und erkannten, dass sie verstanden hatte und ebenso bekümmert war wie sie. Doch der weibliche Engel konnte weiter schauen als die Menschen, deshalb sprach aus ihrem Gesicht auch eine stille Hoffnung.
    Will schluckte hart und sagte schließlich: »Gut, ich zeige dir, wie man ein Fenster verschließt. Aber dazu muss ich erst eines öffnen und somit ein weiteres Gespenst hervorbringen. Ich wusste nichts über sie, sonst wäre ich vorsichtiger vorgegangen.«
    »Wir geben auf die Gespenster Acht«, sagte Xaphania.
    Will nahm das Messer und stellte sich mit dem Gesicht zum Meer. Überraschenderweise zitterten seine Hände nicht. So schnitt er ein Fenster in seine Welt, durch das sie auf eine große Fabrik oder einen Chemiekomplex schauten. Ein Labyrinth von Röhren verlief zwischen Gebäuden und Tanks, Lampen leuchteten an allen Ecken und Dampf trat zischend ins Freie aus.
    »Merkwürdig, dass Engel nicht wissen, wie man das macht«, wunderte sich Will.
    »Das Messer ist eine Erfindung der Menschen.«
    »Und du wirst alle Fenster bis auf eines verschließen«, sagte Will. »Alle bis auf das eine aus der Welt der Toten.«
    »Ja, so lautet das Versprechen. Aber es ist an eine Bedingung geknüpft, und die kennt ihr.«
    »Ja. Gibt es viele Fenster, die verschlossen werden müssen?« »Tausende. Angefangen mit dem schrecklichen Abgrund, den die Bombe gerissen hat, und die große Öffnung, für die Lord Asriel verantwortlich war. Beide Löcher müssen und werden verschlossen werden. Doch darüber hinaus gibt es noch viele kleinere Öffnungen, manche tief in der Erde, andere hoch in der Luft, die auf die verschiedenste Weise entstanden sind.«
    »Baruch und Balthamos berichteten mir, dass sie solche Öffnungen benutzten, um zwischen den Welten zu reisen. Werdet ihr Engel nun wie wir auf eine Welt beschränkt bleiben?«
    »Nein, wir können auch auf andere Weise zwischen den Welten wechseln.«
    »Ist eure Art zu reisen auch für uns erlernbar?«, fragte Lyra.
    »Ja. Ihr könntet es lernen, so wie Wills Vater es gelernt hat. Für diese Art des Reisens wird etwas benutzt, was ihr Fantasie nennt. Das bedeutet aber nicht, Sachen zu erfinden, vielmehr handelt es sich um eine besondere Art des Sehens.«
    »Also kein wirkliches Reisen«, sagte Lyra. »Man bildet es sich nur ein ...

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