Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
Tage meines Lebens, bis ich sterbe. Ich will keine bloße Erinnerung ...«
    »Nein«, sagte er, »Erinnerungen sind was Armseliges. Was ich haben möchte, ist dein wirklicher Mund, dein Haar, deine Augen, deine Arme und Hände. Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal jemanden so lieben könnte. Oh, Lyra, ich wünschte, diese Nacht würde nie enden! Wenn wir doch einfach hier so bleiben könnten, und die Welt würde aufhören sich zu drehen und alle anderen würden in einen tiefen Schlaf fallen ... «
    »Alle außer uns beiden! Und du und ich, wir könnten hier für immer leben und uns einfach lieben.«
    »Ich werde dich ewig lieben, komme, was wolle. Bis ich sterbe und darüber hinaus, und wenn ich den Weg aus dem Land der Toten finde, werden meine Atome so lange umherstreifen, bis sie dich wieder finden ...«
    »Ich werde jeden Augenblick nach dir suchen, Will. Und wenn wir uns wieder finden, halten wir uns so fest in den Armen, dass uns niemand und nichts jemals wieder trennen kann. Jedes deiner Atome und jedes meiner Atome ... Wir werden weiterleben in Vögeln und Blumen, Libellen und Bäumen, in Wolken und in den Stäubchen, die in Sonnenstrahlen tanzen ... Und wenn man aus unseren Atomen neues Leben machen will, dann geht das nicht mit einem Atom allein, sondern immer nur mit zweien, eines von mir und eines von dir, so fest sind wir dann verbunden ...«
    Sie lagen Seite an Seite, Hand in Hand, und schauten in den Himmel. »Erinnerst du dich noch, wie du das erste Mal in dieses Café in Ci'gazze kamst und noch nie einen Dæmon gesehen hattest?«
    »Ich begriff nicht, was das sein könnte. Aber dich habe ich vom ersten Augenblick an gemocht, weil du mutig warst.«
    »Nein, ich habe dich zuerst gemocht.«
    »Das stimmt nicht. Du bist auf mich losgegangen!«
    »Ja«, gab sie zu, »aber du hast mich zuerst angegriffen.« »Keineswegs! Du warst diejenige, die sich wild auf mich gestürzt hat.«
    »Ja, aber ich habe auch gleich aufgehört.«
    »Ja, aber«, spottete er sanft.
    Er spürte, wie sie zitterte, und hörte sie leise schluchzen. Unter seinen Händen hoben und senkten sich ihre Schultern. Will streichelte ihr warmes Haar, ihre zarten Schultern und küsste immer wieder ihr Gesicht. Darauf tat sie einen tiefen Seufzer und wurde ganz still. Die Dæmonen flogen wieder zu ihnen herab, wechselten erneut die Gestalt und kamen über den weichen Sand gelaufen. Lyra setzte sich auf, um sie zu begrüßen, und Will wunderte sich, wie sicher er erkennen konnte, welcher Dæmon zu wem gehörte, ganz gleich welche Gestalt sie gerade angenommen hatten. Pantalaimon war ein Tier, dessen Bezeichnung Will nicht gleich einfiel: wie ein großes, kräftiges Frettchen mit rotgoldenem Fell, ein schmiegsames, anmutiges Wesen. Kirjava war wieder eine Katze, doch diesmal kein gewöhnliches Straßentier. Ihr Fell changierte in tausend verschiedenen Schattierungen von Tintenschwarz und Schattengrau zum Blau eines tiefen Sees unter einem hohen Mittagshimmel bis zu einem Lavendelton, den manchmal Nebel im Mondlicht annimmt ... Wer eine Vorstellung von der Bedeutung des Wortes »subtil« bekommen wollte, brauchte nur ihr Fell zu betrachten.
    »Ein Marder«, sagte Will froh, die passende Bezeichnung für Pantalaimon gefunden zu haben, »ein Baummarder.«
    »Pan«, sprach Lyra ihren Dæmon an, als er in ihren Schoß huschte, »du wirst dich nun nicht mehr oft verwandeln, oder?«
    »Nein«, antwortete er.
    »Komisch«, sinnierte sie. »Erinnerst du dich noch, als wir jünger waren, wünschte ich mir, dass du nie mit dem Verwandeln aufhörst ... Aber jetzt würde mir das nichts mehr ausmachen, nicht, wenn du so bleiben würdest wie jetzt.«
    Will legte seine Hände in ihre. Ein neues Gefühl hatte von ihm Besitz ergriffen, eine ruhige, gefasste Stimmung. Und mit dem Wissen, was er tat und was das bedeutete, nahm er seine Hand von Lyras Handgelenk und streichelte das rotgoldene Fell ihres Dæmons.
    Lyra stockte der Atem. Doch in den Schreck mischte sich ein Vergnügen, das sehr der Freude glich, die sie durchströmt hatte, als sie ihm die Frucht zwischen die Lippen schob. Sie wehrte sich nicht dagegen. Atemlos und mit rasendem Herzschlag antwortete sie in gleicher Weise: Sie legte ihre Hand auf den seidigen Rücken von Wills Dæmon, und als ihre Finger sich in das warme Fell gruben, da wusste sie, dass Will genau fühlte, was sie war.
    Und Lyra wusste auch, dass die Dæmonen nun, da sie die Hände eines Liebenden auf sich gespürt hatten, sich nicht

Weitere Kostenlose Bücher