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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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leben. Für uns gebe es kein Anderswo. Jetzt verstehe ich, was er damit meinte. Oh, das ist bitter. Ich dachte, er meinte nur Lord Asriel und seine neue Welt, aber er meinte uns, er meinte dich und mich. Wir müssen in unseren eigenen Welten leben ... «
    »Ich befrage das Alethiometer«, sagte Lyra. »Das muss es ja wissen. Ich wundere mich, warum ich nicht schon früher darauf gekommen bin.«
    Sie setzte sich wieder, wischte sich mit der Innenseite einer Hand die Wangen und langte mit der anderen in den Rucksack. Das Mädchen hatte ihn überallhin mitgenommen. Wenn Will in späteren Jahren an Lyra dachte, sah er sie oft mit dem kleinen Rucksack auf den Schultern. Nun strich sie sich mit dieser raschen Bewegung, die er so liebte, die Haare hinter die Ohren und holte den schwarzen Samtbeutel mit dem Alethiometer heraus.
    »Kannst du etwas sehen?«, fragte er, denn auch wenn der Mond hell schien, waren die Symbole auf dem Zifferblatt doch sehr klein.
    »Ich weiß, wo sie liegen«, sagte sie, »ich kenne sie auswendig. Still jetzt ...«
    Lyra kreuzte die Beine und zog den Rock darüber, um einen Schoß zu bilden. Will lag, auf einen Ellbogen gestützt, daneben und schaute zu. Das Mondlicht, das vom weißen Sand reflektiert wurde, bestrahlte ihr Gesicht und schien noch ein anderes, inneres Leuchten in ihr zu entfachen; ihre Augen besaßen einen solchen Glanz und ihre Miene war so ernst und konzentriert, dass Will sich noch einmal in sie verliebt hätte, wenn er ihr nicht schon mit jeder Faser seines Herzens verbunden gewesen wäre.
    Lyra holte tief Luft und drehte an den Rädchen. Aber schon nach wenigen Augenblicken hörte sie wieder auf.
    »Falscher Ansatz«, verkündete sie knapp und machte einen neuen Versuch.
    Will konnte die geliebten Züge deutlich sehen. Und gerade weil er sie so genau kannte und sämtliche Mienen, ob Kummer oder Freude, Verzweiflung oder Hoffnung, zu lesen verstand, merkte er gleich, dass irgendetwas nicht stimmte. Lyras Gesicht fehlte es an der tiefen Konzentration, in die sie sonst so rasch fiel.
    Stattdessen mehrten sich die Zeichen unglücklicher, tiefer Ratlosigkeit: Sie biss sich auf die Unterlippe, blinzelte immer häufiger und statt mit raschem, sicherem Blick über das Zifferblatt zu fahren, schaute sie langsam und fast aufs Geratewohl bald auf dieses, bald auf jenes Symbol.
    »Ich weiß nicht, was los ist«, sagte das Mädchen mit einem Kopfschütteln. »Ich kenne die Symbolik so gut, und doch sehe ich nicht, was das Ganze bedeuten soll ...«
    Lyra atmete tief durch und hantierte weiter mit dem Instrument. Mit einem Mal wirkte es fremdartig und plump in ihren Händen. Pantalaimon, der Maus-Dæmon, kroch in ihren Schoß, legte seine schwarzen Pfoten auf das Kristallglas und äugte von einem Symbol zum anderen. Lyra drehte an einem Rädchen, dann an einem anderen, drehte das ganze Gerät und schaute ihren Freund betroffen an.
    »Oh, Will«, rief sie, »ich kann es nicht mehr! Es ist wie weggeblasen!«
    »Aber, aber«, sagte Will, »keine Panik. Tief in dir muss es noch da sein, das ganze Wissen. Beruhige dich und lass es wiederkommen. Erzwinge es nicht. Lass dich einfach treiben, bis du es wieder gefunden hast.«
    Sie schluckte, nickte und strich sich ungehalten mit dem Handrücken über die Augen. Mehrmals atmete sie tief durch. Da Will aber erkannte, dass sie viel zu angespannt war, legte er ihr die Hände auf die Schultern und zog sie fest an sich. Dann machte Lyra einen weiteren Versuch. Wieder starrte sie auf die Symbole, wieder drehte sie an den Rädchen, doch die unsichtbaren Leitern des Sinns, deren Sprossen sie früher so leicht und sicher erklommen hatte, waren jetzt nicht mehr da. Das Mädchen wusste einfach nicht mehr, was die Symbole bedeuteten.
    Sie schob das Instrument beiseite, umarmte Will und klagte: »Es hat keinen Zweck, das ist mir jetzt klar. Ich habe es für immer verloren. Die Fähigkeit kam, als ich sie für all das benötigte, was ich tun musste, als es darum ging, Roger zu retten und dann uns beide ... Und nun ist es vorbei, alles ist zu Ende. Mein Talent ist wie weggeblasen ... Es ist weg, Will! Ich habe dieses Wissen verloren und es kommt nie wieder!«
    Sie überließ sich hemmungslos ihrer Verzweiflung, und er konnte sie nur noch in seinen Armen halten. Will wusste nicht, wie er sie trösten sollte, denn sie hatte mit ihrer Erkenntnis absolut Recht.
    Dann zuckten plötzlich beide Dæmonen zusammen und schauten nach oben. Will und Lyra spürten ebenfalls

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