Das Bernstein-Teleskop
öffnen, wo niemand es jemals finden könnte«, fuhr er fort, »und nur wir beide wüssten davon -«
»Oh, das ginge, da bin ich mir ganz sicher!«, begeisterte sich Lyra.
»Und wir könnten von einer Welt in die andere wechseln und gesund bleiben -«
Doch die Dæmonen schauten bekümmert drein. Kirjava murmelte: »Nein, nein«, und Pantalaimon sagte: »Die Gespenster ... Sie lehrte uns auch etwas über Gespenster.«
»Gespenster?«, sagte Will. »Wir haben Gespenster zum ersten Mal in der Schlacht gesehen. Was hat es mit denen auf sich?«
»Wir haben erfahren, woher sie kommen«, sagte Kirjava. »Und das Schlimme an ihnen ist, dass sie wie die Kinder des Abgrunds sind. Jedes Mal wenn wir ein Fenster mit dem Messer schneiden, entsteht dabei ein Gespenst. Das ist so, wie wenn ein Stück von dem Abgrund in die Welt kommt. Deshalb wimmelte es in der Welt von Cittàgazze vor Gespenstern, denn dort standen so viele von diesen Fenstern offen.«
»Sie ernähren sich von Staub und wachsen dabei noch«, fügte Pantalaimon hinzu. »Sie fressen auch Dæmonen. Denn Staub und Dæmonen sind sich ähnlich. Dæmonen von Erwachsenen jedenfalls. Und die Gespenster werden immer größer und stärker ... «
Will beschlich ein dumpfes Grauen und Kirjava, die sich an seine Brust drückte, fühlte es ebenfalls und versuchte ihn zu trösten.
»Also jedes Mal, wenn ich das Messer benutzt habe«, sagte er, »ist durch mich ein weiteres Gespenst in die Welt gekommen?« Der Junge erinnerte sich, was Iorek Byrnison in der Höhle zu ihm sagte, als er die Teile des Messers wieder zusammenschmiedete: Was du nicht weißt, ist, dass das Messer auch aus eigenem Antrieb handelt. Deine Absichten mögen ja lauter sein, aber das Messer hat seinen eigenen Willen.
Lyra beobachtete ihn aus großen, schmerzgequälten Augen.
»Oh, wir können das nicht, Will!«, sagte sie. »Wir können das Menschen nicht antun ... noch mehr Gespenster in ihre Welt lassen, nachdem wir gesehen haben, was sie anrichten!«
»Also gut«, sagte der Junge entschlossen, stand auf und hielt seinen Dæmon fest an die Brust gedrückt. »Dann müssen wir eben - einer von uns muss - ich komme in deine Welt und ...«
Sie wusste, was er sagen wollte. Und wie sie ihn so dastehen sah mit seinem schönen gesunden Dæmon, den er gerade erst kennen gelernt hatte, da dachte sie an seine Mutter und wusste sogleich, dass er ebenfalls an seine Mutter dachte. Sie im Stich zu lassen und mit Lyra für die wenigen Jahre, die ihnen blieben, zusammenzuleben, würde er das übers Herz bringen? Er könnte vielleicht mit Lyra leben, aber, da war sie sich sicher, er würde nicht allein leben können.
»Nein«, rief sie und sprang neben ihn. Kirjava setzte sich zu Pantalaimon in den Sand, als sich der Junge und das Mädchen verzweifelt in den Armen hielten. »Ich tue es! Wir, Pan und ich, wir kommen in deine Welt und bleiben dort! Was macht das schon, wenn wir krank werden - wir sind kräftig, wir halten uns eine ganze Weile, wette ich, und außerdem gibt es in deiner Welt sicherlich gute Ärzte. Frau Doktor Malone kennt bestimmt welche. Oh, machen wir es doch so!«
Er schüttelte den Kopf, und sie sah den Glanz von Tränen auf seinen Wangen.
»Glaubst du wirklich, dass ich das ertragen könnte, Lyra?«, fragte er. »Glaubst du, dass ich einfach so zusehen könnte, wie du krank wirst und hinsiechst und am Ende stirbst, während ich jeden Tag kräftiger und immer mehr erwachsen werde? Zehn Jahre ... Das ist nicht viel, das vergeht wie im Flug. Wir wären dann in den Zwanzigern. So weit in der Zukunft ist das gar nicht. Denk nur, Lyra, du und ich, wir wären erwachsen und würden darangehen, all das endlich zu verwirklichen, was wir schon immer machen wollten - und dann ... dann wäre plötzlich Schluss. Glaubst du, ich könnte weiterleben, nachdem du gestorben wärst? Oh, Lyra, ich würde dir hinab in die Welt der Toten folgen, so wie du Roger gefolgt bist, damit wären dann zwei Leben verspielt, mein Leben genauso wie deines. Nein, wir sollten unsere ganze Lebenszeit miteinander verbringen, gute, erfüllte und lange Leben und wenn wir wirklich nicht zusammenbleiben können, dann ... dann müssen wir eben getrennt leben.«
Sie kaute auf ihrer Unterlippe, während sie sah, wie er in seiner Qual auf und ab ging.
Dann hielt Will inne, schaute sie an und sprach weiter: »Erinnerst du dich noch an etwas anderes, was mein Vater sagte? Er sagte, wir müssten die Republik des Himmels dort bauen, wo wir
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