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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Höllenhitze in der Höhle empfing sie eisige Kälte.
    »Dieses Messer hätte nie geschmiedet werden dürfen«, sagte Iorek, nachdem sie ein Stück Wegs gegangen waren.
    »Vielleicht hätte ich es auch nicht wieder ganz machen sollen. Ich bin im Zweifel darüber, ausgerechnet ich, der sonst nie im Zweifel ist. Zweifeln ist etwas Menschliches, nichts für Bären. Wenn ich aber menschlich werde, dann stimmt etwas nicht, dann ist etwas faul. Und ich habe es nur noch schlimmer gemacht.«
    »Aber als der erste Bär das erste Stück einer Panzerung schmiedete, war das nicht auch etwas Schlechtes?«, entgegnete der Junge.
    Iorek schwieg. Sie gingen weiter, bis sie zu einer großen Schneewehe kamen. Iorek ließ sich hineinfallen und wälzte sich. In den Schneekaskaden, die er in die dunkle Nacht schleuderte, sah er aus wie das Inbild des Schnees überhaupt. Dann stand er wieder auf und schüttelte sich heftig. Als er Will sah, der noch immer auf eine Antwort auf seine Frage wartete, sagte er:
    »Ja, ich glaube, das war es wohl tatsächlich. Aber vor dem ersten Panzerbären gab es dergleichen nicht. Wir haben keine Kunde vor dieser Zeit. Das war der Ursprung unserer Sitten. Wir kennen unsere Gebräuche, sie sind hart und gerecht, und wir folgen ihnen, ohne je an ihnen zu rütteln. Unsere Bärennatur wäre schwach ohne unsere Sitten, so wie Bärenfleisch ungeschützt wäre ohne unsere Panzerung. Doch dadurch, dass ich das Messer wieder hergestellt habe, scheint es mir, als hätte ich mich von meiner Bärennatur entfernt. Vielleicht bin ich so töricht gewesen wie Iofur Rakinson. Die Zeit wird es lehren. Ich bin mir jedenfalls nicht sicher. Aber nun musst du mir sagen, warum das Messer zerbrochen ist«
    Will rieb sich den Kopf mit beiden Händen.
    »Die Frau schaute mich an, und mir kam es so vor, als hätte sie das Gesicht meiner Mutter.« Der Junge bemühte sich, sein Erlebnis so genau und wahrheitsgetreu wie möglich wiederzugeben. »Das Messer stieß gegen etwas, das es nicht schneiden konnte. Es zerbrach, weil ich die Klinge mit meinem Geist dagegen stieß und sie gleichzeitig davor zurückriss. So war es, glaube ich jedenfalls. Die Frau wusste, was sie tat, da bin ich mir sicher. Sie ist wirklich sehr gerissen.«
    »Wenn du von dem Messer sprichst, dann sprichst du auch von deiner Mutter und deinem Vater.«
    »Tue ich das? Ja ... Ich glaube schon.«
    »Was willst du mit ihm anfangen?«
    »Ich weiß es nicht.«
    Iorek holte plötzlich aus und versetzte Will einen Schlag mit der linken Pranke. Will traf der Hieb so hart, dass er halb benommen in den Schnee fiel und sich mehrmals überschlug, bis er unten am Abhang mit brummendem Kopf liegen blieb.
    Iorek kam langsam bis zu der Stelle, wo Will sich wieder aufrappelte. »Antworte mir ehrlich«, forderte er ihn auf.
    Will war versucht zu entgegnen: »Das hättest du nicht gewagt, wenn ich das Messer in der Hand gehabt hätte.« Doch er konnte sich ausrechnen, dass Iorek das ebenfalls klar war. Beide wussten, was dem anderen gerade durch den Kopf ging. Es wäre also unhöflich und obendrein dumm, das zu äußern, aber Lust dazu verspürte er gleichwohl. Der Junge hielt jedoch den Mund, bis er wieder aufrecht stand und Iorek direkt in die Augen sehen konnte.
    »Ich sagte, dass ich es nicht weiß«, begann er mit möglichst ruhiger Stimme, »weil ich mir noch nicht richtig klargemacht habe, was ich tun werde. Welche Folgen damit verbunden sind. Sie schrecken mich genauso wie Lyra. Aber ich war gleich einverstanden, als sie mir ihren Plan darlegte.«
    »Und was ist das für ein Plan?«
    »Wir wollen ins Land der Toten gehen und mit dem Geist von Lyras Freund Roger sprechen, der in Svalbard umgekommen ist. Und wenn es wirklich ein Land der Toten gibt, dann muss auch mein Vater dort sein, und wenn wir mit den Geistern der Verstorbenen sprechen können, dann möchte ich auch mit ihm reden. Aber ich fühle mich hin und her gerissen, denn andererseits möchte ich auch nach Hause und mich um meine Mutter kümmern. Ferner hat der Engel Balthamos zu mir gesagt, ich solle zu Lord Asriel gehen, und er hat mir sein Geleit angeboten. Vielleicht hatte auch er Recht ... «
    »Er hat Reißaus genommen«, sagte der Bär.
    »Balthamos war eben kein Krieger. Er hat getan, was er konnte, aber dann überstieg es seine Kräfte. Außerdem war er nicht der Einzige, der Angst hatte; auch ich habe Angst. Ich muss darüber nachdenken. Vielleicht tun wir manchmal nicht das Richtige, weil das Falsche uns

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