Das Bernstein-Teleskop
Teilchen rieselten wie ein verglühendes Feuerwerk leuchtend durch die dunkle Nacht.
Dann herrschte wieder Stille. Der Wind trug das Geknatter der Gyropter davon, die nun hinter der Flanke des Berges verschwunden waren, und die Zuschauer am Boden schwiegen. Flammen aus der Tiefe warfen ihren Widerschein auf die Unterseite des Intentionsgleiters, der immer noch in der Luft schwebte und sich langsam drehte, wie um sich einen Rundblick zu verschaffen. Die feindliche Staffel war so vollständig vernichtet worden, dass Mrs. Coulter, die in ihrem Leben schon viele wirklich schockierende Dinge gesehen hatte, ihre Betroffenheit nicht verhehlen konnte. Als sie wieder einen Blick nach oben zum Intentionsgleiter warf, schien er sich in einen Schimmer zu verwandeln oder wegzutauchen, und dann stand das Gerät plötzlich wieder fest auf dem Boden.
König Ogunwe eilte voran, gefolgt von den anderen Oberbefehlshabern. Das Wartungspersonal hatte das Tor zum Hangar aufgestoßen, so dass sich nun wieder Licht über das Testgelände ergoss. Nur Mrs. Coulter blieb wie angewurzelt stehen, so verblüfft war sie über die Wirkungsweise des Intentionsgleiters.
»Warum führt er ihn uns vor?«, fragte sie ihr Dæmon.
»Wenigstens kann er unsere Gedanken noch nicht lesen«, erwiderte sie. Die Frau und ihr Affe dachten an den Augenblick im diamantenen Turm, als ihnen eine Idee gekommen war. Ihnen war durch den Sinn gegangen, Lord Asriel den Vorschlag zu machen, zum Geistlichen Disziplinargericht zurückzukehren und dort für ihn zu spionieren. Mrs. Coulter kannte die Hebel der Macht und wusste, wie man sie bediente. Anfangs würde es nicht leicht sein, die Herren dort von ihrer Aufrichtigkeit zu überzeugen, aber sie traute sich das dennoch zu. Jetzt wo sich die gallivespischen Spione mit Will und Lyra in einer anderen Welt aufhielten, würde Asriel gewiss zu einem solchen Angebot nicht Nein sagen können. Aber beim Anblick dieser Wunderwaffe kam ihr eine noch verführerischere Idee, und sie liebkoste den goldenen Affen mit diebischer Freude.
»Asriel«, sagte sie unschuldig, »darf ich sehen, wie die Maschine funktioniert?«
Er schaute ungeduldig zu ihr hinunter, doch zugleich verriet seine Miene auch freudige Erregung. Der Intentionsgleiter war sein technisches Spielzeug. Sie wusste, dass Asriel der Verlockung nicht widerstehen könnte und es ihr vorführen würde.
König Ogunwe trat beiseite und Lord Asriel zog sie ins Cockpit. Er half ihr in den Pilotensitz und genoss es, wie sie sich neugierig umschaute.
»Wie funktioniert das Gerät? Was treibt es an?«, wollte sie wissen.
»Deine Willenskraft«, sagte er. »Die Intentionen des Piloten dienen als Antrieb. Wenn du zum Beispiel vorwärts flie gen willst, dann fliegt die Waffe vorwärts.«
»Das ist doch keine Antwort. Komm, sag mir die Wahrheit. Welchen Motor habt ihr eingebaut? Wie fliegt das Ganze? Das Gerät wirkt doch gar nicht so windschnittig. Aber die Armaturen hier im Innern sehen aus wie bei einem Gyropter.«
Es fiel ihm schwer, sein Wissen für sich zu behalten; und da sie sich jetzt in seiner Macht befand, gab er seinem Drang nach. Asriel zeigte ihr ein Stück Kabel, das an einem Ende einen ledernen Griff hatte, in dem der Abdruck der Zähne seines Dæmons erkennbar war.
»Dein Dæmon«, erläuterte er, »muss diesen Griff hier halten - ob mit den Zähnen oder mit den Händen, das spielt keine Rolle. Und du musst diesen Helm tragen. Zwischen beiden fließt ein Strom, den ein Amplifikator verstärkt - oh, das ist alles sehr kompliziert, aber die Maschine selbst lässt sich leicht fliegen. Wir haben sie mit den gleichen Instrumenten ausgestattet wie bei einem Gyropter, obwohl wir danach streben, am Ende ganz auf Instrumente verzichten zu können. Selbstverständlich kann nur ein Mensch mit einem Dæmon solch eine Maschine fliegen.«
»Ich verstehe«, sagte die Frau.
Und dann beförderte sie ihn mit einem kräftigen Stoß aus dem Cockpit.
Im gleichen Augenblick setzte sie sich den Helm auf und der goldene Affe langte nach dem Ledergriff. Sie betätigte den Hebel, der bei einem Gyropter die Tragflächenneigung regelte, und drückte den Leistungshebel durch. Sogleich erhob sich die Maschine in die Luft.
Doch sie beherrschte den Intentionsgleiter noch nicht. Die Maschine hing einige Augenblicke leicht zur Seite geneigt, ehe Mrs. Coulter die entsprechenden Hebel fand, um auf Vorwärtsbewegung zu schalten. In diesen wenigen Sekunden tat Lord Asriel dreierlei. Er rappelte
Weitere Kostenlose Bücher