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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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und das Erste, was sie sah, war das Sraf. Das kam ihr so befremdlich vor, dass sie sogleich ihrer ganzen Sippe davon künden wollte. Da es aber nur einen Samenbaum gab, waren nicht genug Kapseln für alle vorhanden. So nahmen sie und ihr Gefährte die ersten beiden und da erkannten sie, wer sie waren. Sie wurden gewahr, dass sie Mulefa und nicht Grasfresser waren. Da gaben sie einander Namen und nannten sich selbst Mulefa. Sie gaben auch dem Samenbaum einen Namen und allen anderen Geschöpfen und Pflanzen.
    Sie waren anders als die anderen, sagte Mary.
    Ja, das waren sie. Und ebenso ihre Kinder, denn als mehr Samenkapseln herunterfielen, zeigten sie den Kindern, was man mit ihnen machen konnte. Als die Kinder alt genug waren, entwickelten sie selbst Sraf. Hatten sie dann die richtige Größe erreicht, um auf Rädern zufahren, kam das Sraf mit dem Öl wieder und blieb bei ihnen. Sie sahen, dass sie wegen des Öls mehr Samenkapselbäume pflanzen mussten, doch die Kapseln waren so hart, dass sie nur sehr selten Keime entwickelten. Die ersten Mulefa erkannten, was sie tun mussten, um den Bäumen zu helfen, nämlich auf Rädern zu fahren, bis sie brachen. So haben Mulefa und Samenkapselbäume immer zusammen gelebt.
    Von allem, was Atal sagte, verstand Mary zunächst nur ein Viertel, doch durch Nachfragen und Erraten bekam sie auch alles Übrige heraus. Auch beherrschte sie die Sprache dieser Wesen schon deutlich besser. Doch je mehr sie lernte, desto komplizierter wurde alles für sie, denn jede neue Erkenntnis warf ihrerseits viele Fragen auf, von denen jede in eine andere Richtung führte.
    Ihre ganze Konzentration richtete sich auf das Sraf, denn darauf lief alles hinaus. In diesem Zusammenhang kam sie auch auf den Spiegel.
    Der Vergleich von Sraf mit dem Glitzern auf einer Wasseroberfläche hatte den Anstoß dazu gegeben.
    Reflektiertes Licht wie zum Beispiel das helle Leuchten draußen auf offener See war polarisiert: Wäre es da nicht möglich, dass Schattenteilchen, wenn sie sich wie Wellen verhielten, ebenfalls polarisiert werden könnten?
    Ich kann Sraf nicht wie ihr sehen, sagte sie, aber ich möchte mir einen Spiegel aus pflanzlichem Lack anfertigen, weil ich glaube, damit Sraf sehen zu können.
    Die Idee versetzte Atal in große Aufregung. Gemeinsam holten sie das Netz ein und machten sich daran, alles Nötige für Marys Vorhaben zu beschaffen. Als gutes Omen werteten sie, dass sich im Netz drei schöne Fische gefangen hatten.
    Den Lack gewannen sie von einem anderen, erheblich kleineren Baum, den die Mulefa eigens für diesen Zweck anpflanzten. Sie kochten den Saft dieses Baumes und lösten ihn dann in Alkohol, den sie aus gegorenem Fruchtsaft destillierten. So erhielten sie eine Substanz, die die Beschaffenheit von Milch und die Farbe von Bernstein hatte und die sie als Firnis verwendeten. Als Grundlage nahmen sie Holz oder Muscheln und trugen darauf bis zu zwanzig Schichten Lack auf, wobei sie jede Schicht erst unter feuchten Tüchern aushärten ließen, ehe die nächste aufgetragen wurde. So entstand nach und nach eine Oberfläche von großer Härte und Brillanz. Gewöhnlich erzielten sie durch Beimischung verschiedener Oxide einen undurchsichtigen Lack, aber manchmal ließen sie ihn auch klar. Gerade Letzterer interessierte nun Mary, denn der klare, bernsteinfarbene Lack hatte die gleiche Eigenschaft wie ein Mineral, das ihr als isländischer Doppelspat bekannt war: die Doppelbrechung von Lichtstrahlen. Ein Betrachter, der durch dieses Mineral schaute, sah alles doppelt.
    Mary wusste noch nicht genau, was sie eigentlich suchte, aber sie war sich sicher, schließlich darauf zu stoßen. Wenn sie lange genug probierte, ohne sich selbst nervös zu machen oder sich ständig zu kritisieren, würde sie es finden. Mary erinnerte sich an die Worte des Dichters Keats, die sie vor Lyra zitiert und in denen Lyra sogleich die geistige Verfassung erkannt hatte, in die sie beim Lesen des Alethiometers geriet. Das musste jetzt auch Mary gelingen.
    Zuerst einmal suchte sie sich ein mehr oder weniger ebenes Stück Holz, ähnlich Kiefer, und schliff darin die Oberfläche so lange mit einem Sandstein (kein Metall und damit keine planen Flächen, bis es so eben war wie möglich. So machten es auch die Mulefa, und mit ausreichend Zeit und Geduld erhielt man ein zufrieden stellendes Ergebnis.
    Dann ging Mary mit Atal in einen Lackbaumhain. Vorher hatte sie den Mulefa genau erklärt, was sie vorhatte, und sie um Erlaubnis

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