Das Bernsteinerbe
Umfallen der Altstädter und Löbenichter Bürger gegenüber dem Kurfürsten an. Würde einer von ihnen wagen, ihr Vorgehen zu rechtfertigen?
»Ach, vergesst doch die Sache mit Johann Kasimir«, winkte Gutfried schließlich ab. »Natürlich hört der gern unseren Eid. Und am Ende nimmt er genauso gern unser Geld. Es ist doch immer das Gleiche mit den hohen Herren.«
»Recht hat er!«, »Ja, genauso ist es!«, stimmten die Umstehenden zu, erleichtert, dass einer den Bann gebrochen hatte.
Langsam schritt Magdalena durch die Kaufleute, schnappte hie und da noch einzelne Satzfetzen zu den Polen, wenig respektvolle Bemerkungen zu Kurfürst Friedrich Wilhelm, seinen strammen Dragonern und den von ihm eingeforderten Steuern auf. Bald aber beherrschten mehr und mehr die ins Wanken geratenen Bernsteinpreise die Gespräche. Auch die horrend gestiegenen Holzpreise in Schweden und die stärker werdende Konkurrenz der Kaufleute aus Riga sorgten für regen Gesprächsstoff. Knapp grüßte Magdalena einen Zunftgenossen aus der Altstadt, bedeutete einem entfernten Bekannten aus Danzig mit einem Wink, dass sie später noch mit ihm reden wolle, und reichte der Kaufmannswitwe Ellwart aus der Fleischbänkenstraße die Hand, um ihr nachträglich noch zum Namenstag zu gratulieren.
Ihr Rücken versteifte sich, als sie sich der Mitte des Saales näherte. Nahe dem ihr fröhlich zugewandten Grünheide erspähte sie Helmbrechts breite Schultern. Sie schluckte. Schwer drückte die Last, ihn Mathias’ wegen auf ihre seit Jahren verschwundene Base Adelaide anzusprechen. Das aber war dringend geboten, wie das plötzliche Auftauchen ihres Neffen am letzten Montag bewiesen hatte. Am besten, sie erledigte das gleich, sonst gebrach ihr wieder der Mut. Seit vier Jahren vermieden sie dieses heikle Thema, wohl wissend, wie unsinnig ihr Schweigen darüber war. Helmbrecht hatte Adelaide damals versprochen, niemandem zu verraten, wo sie sich aufhielt. Es war jedoch grausam, ausgerechnet Mathias, ihrem einzigen Sohn, ihren Aufenthaltsort vorzuenthalten. Er hatte ein Recht darauf, seine Mutter wiederzusehen. Entschlossen trat Magdalena auf Helmbrecht zu, um im nächsten Moment innezuhalten. Das ihr bestens vertraute Haupt mit dem nackenlangen braunen Haar neigte sich einer in auffälligem Kobaltblau gewandeten Dame zu, die ihm aufgeregt etwas ins Ohr wisperte. Mittels eines zustimmenden Kopfnickens begleitete er ihre Worte. Magdalena kniff die Augen zusammen. Das Gesicht der Frau kam ihr bekannt vor, doch es gelang ihr nicht, es einer der in Königsberg wohnenden Kaufmannsfrauen zuzuordnen.
Als spürte er ihren Blick, drehte sich Helmbrecht zu ihr um. Das Sonnenlicht beleuchtete unbarmherzig die wenig schönen Blatternarben auf seinen Wangen. Wie so oft verlieh gerade das ihm ein anziehendes Aussehen. Das wohlvertraute Kribbeln in Magdalenas Leib ließ nicht lang auf sich warten. Seit Jahren zog dieser Mann sie in Bann, mindestens ebenso lang aber schon versagte sie sich die Sehnsucht, dem Verlangen nachzugeben. Die Verpflichtung dem toten Eric gegenüber hinderte sie. Sobald Helmbrecht sie erkannte, hellten sich seine faszinierenden Bernsteinaugen auf. Die dunklen Einsprengsel funkelten darin. Erfreut breitete er die Arme aus.
»Magdalena«, dröhnte sein wohlklingender Bass viel zu laut durch den Saal. Jäh verstummte das Gemurmel der übrigen Anwesenden, und alle schauten zu ihr. Für diese unangenehme Aufmerksamkeit zeigte Helmbrecht sich seit Jahren unempfänglich. Zu keiner Gelegenheit machte er einen Hehl aus seinen Gefühlen ihr gegenüber. »Wie schön, Euch einmal schon zu dieser Stunde hier an der Börse zu begrüßen.«
Es blieb ihr nichts anderes, als unter den Blicken der übrigen Kaufleute zu ihm zu gehen und ihn ebenfalls herzlich willkommen zu heißen. Ihr Anliegen aber musste sie aufschieben. Ein Kloß verengte ihr den Hals. Helmbrecht merkte nichts von ihrer Beklommenheit.
»Erlaubt mir, dass ich Euch eine Bekannte aus Brügge vorstelle.« Sogleich wandte sich die in Kobaltblau gekleidete Dame neugierig um. »Marietta Leuwenhoeck hat den langen Weg an den Pregel angetreten, um sich hier in einigen Kontoren vorzustellen. Ist es nicht ein Zufall, dass ich sie auch hier treffe? Dabei sollte ich längst zurück in Leipzig sein. Aber in diesen Wochen ist eben alles nicht so, wie es sein sollte. Das erfahren wir leider jeden Tag aufs Neue. Liebe Frau Leuwenhoeck, das also ist Magdalena Grohnert«, wandte er sich gut gelaunt an die
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