Das Bernsteinerbe
der Haft ergeht?«
»Doch, doch«, beeilte sich Magdalena zu versichern.
»Ich sehe schon, meine Teuerste, in Wahrheit seid Ihr mit Euren Gedanken ganz woanders.« Das Lächeln auf seinem Gesicht wich einem Anflug von Besorgnis.
»Ihr habt mich ertappt«, gab sie sich geschlagen. Je länger sie ihn betrachtete, desto mehr stieß ihr der Gegensatz zwischen seinem grobgeschnittenen Antlitz und der ausgesucht eleganten Kleidung auf. Sosehr sich der mit Pelzen aus Riga reichgewordene Kaufmann auch bemühte, die letzten Spuren seiner Herkunft aus einer einfachen Bauernfamilie im Litauischen ließen sich nicht völlig verwischen. Dabei schätzte Magdalena ihn gerade deswegen. Es verlieh ihm eine Bodenhaftung, die Kaufleuten durchaus von Nutzen sein konnte.
»Eigentlich wollte ich den Gang zur Lastadie nutzen, um mich meinen Gedanken hinzugeben«, entschuldigte sie sich. »Zu vieles hat sich in den letzten Tagen ereignet, was mir im Kopf herumspukt.«
»Das kann ich nachvollziehen«, stimmte er zu, wies aber gleichzeitig mit der Hand einladend die Langgasse Richtung Grüne Brücke hinunter, wo die Börse lag. »Lasst uns gemeinsam über all die Dinge sprechen, die Euch auf dem Herzen liegen.« Galant bot er ihr den Arm. Magdalena blieb gar keine andere Wahl, als ihm zu folgen. Sosehr sie sich sonst gegen offene Bevormundung sträubte, schien es ihr nun das Richtige zu sein.
Seite an Seite spazierten sie los, gelegentlich den einen oder anderen grüßend. Munter plauderte Grünheide weiter: »Roth befindet sich weiterhin im Schloss, wie man hört. Offenbar wagt es Friedrich Wilhelm nicht, ihn zur Feste Friedrichsburg bringen zu lassen. Der Schutz der dreitausend Soldaten, die er in der Altstadt gesammelt hat, ist ihm hier in Königsberg wichtiger. Keinen einzelnen will er vorher ziehen lassen. Trotz dieses Zögerns aber dürfte die Haft für Roth kein Zuckerschlecken sein. Der Kurfürst kann ihm schlecht eine Sonderbehandlung zuteilwerden lassen. Damit würde er ihm letztlich doch recht geben und sich selbst ins Unrecht setzen. Also muss er so tun, als hätte er es mit einem gemeinen Verbrecher zu tun. Über kurz oder lang wird er ihn weit weg von unserer Stadt in ein Verlies werfen.«
»Das heißt, man wird ihm bald den Prozess machen?« Bislang hatte Magdalena wenig Anteil an Roths Schicksal genommen. Erst jetzt wurde sie gewahr, wie sehr die weiteren Geschehnisse auch sie selbst und ihre Geschäfte in Bedrängnis bringen konnten. »Das wird Auswirkungen auf den Landtag haben. Sind die Stände sich in ihrer Haltung gegenüber dem Kurfürsten noch einig? Was sagt der Kneiphofer Rat dazu? Wie verhalten sich Altstadt und Löbenicht zu alledem?«
»Um das zu erfahren, sollten wir zur Börse gehen.« Behutsam fasste er sie am Arm und half ihr über eine Pfütze hinweg.
Von der Brotbänkenstraße bog ein großes Fuhrwerk um die Ecke. Wütend knallte der Kutscher mit der Peitsche, weil die stämmigen Zugpferde es nicht schafften, das Gefährt in einem Schwung um die Kurve zu ziehen. Um dem Hieb zu entgehen, sprang ein aufgebrachter Passant Magdalena auf die Füße. Beherzt bewahrte Grünheide sie vor Schlimmerem. Dankbar nickte sie ihm zu.
»Was sagt Ihr zu dem Wetterumschwung?«, wechselte er das Thema, sobald sie dem Gewühl entronnen waren. »Erst gönnt uns der Oktober einen nahezu endlosen Sommer, dann lässt er uns zum Ende hin zu Eissäulen erstarren. Dafür wärmt uns der November gleich wieder das Herz auf. Ich bin gespannt, wie es bis Jahresende weitergehen wird.«
»Ihr wisst, was das Wetter an Allerseelen für den Rest des Jahres bedeutet.« Sie winkte ihrer Nachbarin zu, die ihr wie stets in größter Eile entgegenkam. »Dieses Mal war es an Allerseelen kalt und klar, deshalb wird uns die Weihnacht eine frostige Schneedecke bescheren.«
»Ihr meint, Teuerste, wir sollten uns sputen, unsere Schiffe aus Danzig und Riga nach Hause zu beordern und die Waren in die Lagerhäuser zu bringen? Wird das Haff zufrieren?«
»Ich rechne mit einem langen und kalten Winter. Darauf hat schon das warme Wetter an Sankt Gilbhart hingedeutet.«
Sie raffte den Rock, um mit seinem Tempo mithalten zu können. Ihr Blick glitt über das quirlige Geschehen auf der Gasse. Die Sonne lockte so manchen nach draußen, der sich in den letzten Tagen ängstlich hinter dem Ofen verkrochen hatte. Es schien, als hätte sich die bedrohliche Gegenwart der kurfürstlichen Soldaten mit dem Schnee und der Eiseskälte aus der Stadt verzogen.
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