Das Bernsteinerbe
vorstellbar, dass Euch jemals etwas bei einem Vorhaben aufhalten kann, verehrte Marietta«, merkte Helmbrecht an.
Magdalena spitzte den Mund und reckte sich. Kühn funkelten ihre grünen Augen.
»Mir scheint, dasselbe könnte man guten Gewissens von Magdalena Grohnert behaupten«, entgegnete Marietta und zwinkerte ihr zu. »Nach allem, was man hört, weiß sie genau, was sie in ihrem Geschäft erreichen will.«
»Wüsste ich das nicht, wäre ich wohl eine schlechte Kauffrau«, war alles, was Magdalena darauf erwiderte.
»Das kann ich nur bestätigen«, warf Helmbrecht ein. »Sowohl als Wundärztin wie auch als Kauffrau habt Ihr besonderes Geschick bewiesen, liebe Magdalena. Aber auch Ihr, verehrte Marietta, versteht Euer Geschäft. Genau aus diesem Grund wollte ich Euch miteinander bekannt machen. Ihr seid aus demselben Holz geschnitzt. Ihr werdet Euch hervorragend verstehen.«
»Wie schön, Euch alle so einträglich an der Börse versammelt zu sehen«, ertönte eine befehlsgewohnte Frauenstimme vom Eingang. Wie auf Kommando wandten alle die Köpfe.
Magdalena erstarrte. Kerzengerade, die Hände auf die Hüften aufgestützt, hatte sich Dorothea Gerke an der Saaltür aufgebaut. Der Witwe ausgerechnet vor versammelter Königsberger Kaufmannschaft zum ersten Mal nach dem Tod ihres Gemahls gegenüberzustehen, das hätte Magdalena wahrlich gerne vermieden. Einerseits zehrte es an ihr, dass sie dem sterbenden Zunftgenossen nicht mehr hatte helfen, nicht einmal seine Qualen merklich hatte lindern können. Andererseits wusste sie, wie ungerechtfertigt solche Gedanken waren. Als Wundärztin hatte sie ihr Bestes gegeben, um ihm beizustehen. So, wie es aussah, hatten das fortgeschrittene Alter und die schlechte körperliche Verfassung für sein vorzeitiges Dahinscheiden gesorgt. Davon aber wollte Dorothea wohl nichts wissen. Voll düsterer Ahnungen blickte Magdalena ihr entgegen.
Die schwarze Witwenkleidung stand Dorothea gut. Die stämmige Figur machte der teure schwarze Damast umso stattlicher, die betont aufrechte Haltung verlieh der frisch zur Witwe Gewordenen eine besondere Würde. Jäh fühlte Magdalena sich an eine andere Witwe erinnert: Base Adelaide hatte damals in Frankfurt nicht weniger eindrucksvoll mit ihrem Status als Trauernde posiert. Hatte sie ihr nicht auch den plötzlichen Tod ihres Gemahls nachgetragen? Damals hatte Magdalenas Gatte den Überfall überlebt, dem Adelaides Mann zum Opfer gefallen war. Magdalena entfuhr ein Seufzer. Es galt, dem bevorstehenden Angriff ruhig entgegenzusehen. Alles andere war ein offenes Schuldeingeständnis.
Zielsicher richteten sich Dorotheas grüne Augen auf sie. Mit zuckersüßem Lächeln, aber nicht zu überhörendem Falsch in der Stimme säuselte die Witwe: »Wie schön, Euch hier zu treffen, beste Freundin!«
Übertrieben weit streckte sie die Arme aus und rauschte achtlos an den anderen Zunftgenossen vorbei auf sie zu, als wollte sie sie umarmen und an ihr Herz drücken. Magdalena äugte zu Grünheide. Auf dessen Antlitz wechselten Staunen und Entsetzen rasend schnell miteinander ab. Im Saal blieb es still. Gespannt verfolgten die Anwesenden, was sich zwischen den beiden Frauen abspielte. Helmbrecht schob Marietta ein Stück beiseite und stellte sich keine zwei Schritte von Magdalena entfernt in Habtachtstellung. Die bernsteinfarbenen Augen verdunkelten sich. Die Blatternarben auf seinen Wangen färbten sich rot, der schmale Oberlippenbart zitterte.
Im letzten Moment ließ Dorothea den rechten Zeigefinger nach vorn schnellen. Anklagend zielte er auf Magdalenas flache Brust. Die eben noch freundlich lächelnde Miene verwandelte sich in eine hässliche Fratze, die grünen Augen sprühten vor Wut. Das Dreieck der schwarzen Witwenschnebbe auf der Stirn wirkte wie ein bedrohlicher Pfeil.
»Wie kannst du Hexe es wagen, hier zu sein?«, zischte sie.
»Beruhigt Euch, Verehrteste!« Beschwörend trat Helmbrecht auf sie zu. Er hoffte wohl, niemand habe ihre Worte verstanden und er könne sie zur Vernunft bringen, bevor ihre Vorwürfe allzu viel Aufsehen erregten.
»Bleibt mir vom Leib!«, brauste sie auf und wehrte ihn mit den Händen ab. »Euch hat sie doch zuallererst verhext. Jedem hier ist klar, wie Ihr beide zueinander steht.«
»Dorothea, bitte!«, schaltete Magdalena sich ein. Versöhnlich streckte sie ihr die Hand entgegen. »Ihr dürft Euch nicht so aufregen. Wir alle wissen, was Ihr dieser Tage durchmacht. Den liebsten Menschen auf Erden zu verlieren, das ist
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