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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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grausam. Noch dazu, wenn man hilflos mit ansehen muss, wie sehr er sich in seinen letzten Stunden gequält hat.«
    »Das hat er doch nur dir zu verdanken, du elende Teufelsbrut!« Vor Wut keuchend fasste Dorothea sich an die Kehle.
    »Ihr wisst nicht mehr, was Ihr sagt.« Magdalena wollte sie am Arm nehmen, um sie zu einem Stuhl zu geleiten, die Witwe jedoch schlug entrüstet ihre Hilfe aus.
    »Fass mich nicht an!«, krächzte sie. »Mit dir will ich nichts zu tun haben. Erst verabreichst du meinem Mann deine giftigen Tropfen, und dann siehst du voller Genugtuung dabei zu, wie er vor meinen Augen elendig verreckt. Von wegen altbekannte Bernsteinessenz!«
    Sie spitzte den Mund, als wollte sie vor Abscheu vor ihr ausspucken. »Als du gestern nicht zur Beerdigung gekommen bist, habe ich zuerst noch gehofft, mich in dir getäuscht zu haben. Beinahe habe ich dir sogar etwas wie ein Gewissen zugetraut. Nun aber weiß ich, dass du gar nicht in der Lage bist, etwas in dieser Richtung zu empfinden. Das sehe ich allein daran, wie du hier in der Börse tust, als wäre nichts geschehen. Lass dir gesagt sein: Ich habe dich durchschaut! Ich werde alles tun, dir das Handwerk zu legen.«
    »Haltet ein, meine Liebe!«, versuchte Magdalena erneut, sie zur Vernunft zu bringen. »Der Kummer frisst Euch sonst noch auf.«
    »Ihr seid diejenige, die mich auffrisst!«, kreischte Dorothea und sprang ihr an die Kehle. Geistesgegenwärtig stürzte Helmbrecht dazwischen und zog sie beiseite.
    Magdalena wusste nicht, wie ihr geschah. Vom Schreck noch ganz benommen, sah sie, wie Helmbrecht den Arm um Dorothea legte und in seiner wohltönenden Stimme auf sie einsprach: »Aber, aber, meine Teuerste, Ihr seid ja ganz von Sinnen. Der Kummer über den schrecklichen Tod Eures Gemahls macht Euch wohl arg zu schaffen. Glaubt mir, was geschehen ist, hat uns alle tief getroffen. Wir werden unser Möglichstes tun, Euch zu helfen, wieder ins Leben zurückzufinden.«
    Dorothea hob den Arm und ballte die Faust. Einen Atemzug lang hatte es den Anschein, als wollte sie auf ihn einschlagen. Augen und Mund weit aufgerissen, verzerrte sich ihr ebenmäßiges Gesicht jäh in größtem Schmerz. Ein furchtbarer Laut entfuhr ihrem Mund. Wie eine Erstickende rang sie nach Luft, bäumte den stämmigen, großen Körper auf und stierte Helmbrecht wie von Sinnen an. Wieder schnellte ihr Zeigefinger vor, deutete diesmal zitternd gen Helmbrechts Brust. »Merkt Ihr denn nicht?«, japste sie. »Verhext hat sie ihn!« Kraftlos klappte sie in sich zusammen und sank zu Boden.
    Eine Zeitlang erfüllte allein das herzerschütternde Schluchzen der Witwe den riesigen Börsensaal. Wie betäubt starrten die Königsberger Kaufleute auf sie. Helmbrecht zeigte sich unfähig, sich von der weinenden Frau zu befreien. Magdalena und Marietta wechselten einen Blick, bückten sich und griffen Dorothea unter die Arme. Schweigend öffneten die anderen ihnen eine Gasse. An den vielen Zunftgenossen und Kaufmannsfrauen vorbei schleppten sie die Witwe zur holzgetäfelten Längsseite des Saales. Dort setzten sie sie behutsam auf eine Bank, lehnten ihren Oberkörper gegen die rückwärtige Wand und kreuzten ihr haltspendend die Arme im Schoß. Willfährig ließ Dorothea die Prozedur über sich ergehen.
    Erschöpft wischte sich Magdalena mit dem Handrücken über die Stirn und richtete die Augen auf die Wandtäfelung oberhalb von Dorothea Gerkes Haupt. Sie stockte.
    Genau über dem braungelockten Kopf der Witwe prangte einer der sechzig Sinnsprüche, mit denen das Börsengebäude bei seiner Errichtung vor mehr als zwei Generationen verziert worden war. Magdalena meinte, ihren Augen nicht zu trauen, als sie die Worte entzifferte. Am liebsten hätte sie ob dieser Fügung lauthals aufgelacht. Sie wandte den Kopf. Neben ihr stand Marietta. Die weißblonde Schönheit aus Flandern las gerade ebenfalls die in die Wand eingelassenen Sätze. Sie schaute zu Magdalena und zwinkerte ihr verschmitzt zu. Magdalena atmete auf. Helmbrecht hatte recht: Sie beide waren aus demselben Holz geschnitzt!
    Marietta reichte ihr den Arm, und Magdalena hängte sich ein. Dicht an dicht stehend, lasen sie noch einmal gemeinsam den Spruch, der wie ein übersinnlicher Fingerzeig auf Dorothea Gerke zu deuten schien:
    EIN WEIB, DAS SCHLANGEN AM BUSEN NÄHRT
UND AN EINEM HERZEN NAGT.
VOR BOSHEIT KANNST DU NICHT GENESEN.
    MISSGUNST ERREGET KRIEG UND STREIT,
    MITUNTER, UNRUH, FALSCH GESCHREI,
    DA LÄUFT VIEL UNGERECHTIGKEIT
    BITTERKEIT UND

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