Das Bernsteinerbe
BOSHEIT MANCHERLEI.
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A ls Carlotta die Apotheke im Löbenicht endlich erreicht hatte, war sie wider Erwarten geschlossen. Sie konnte sich nicht so recht entschließen, nach dem Klopfer an der Tür des unauffälligen zweistöckigen Gebäudes zu greifen. Hoffnung und Furcht hielten sich die Waage bei der Aussicht, Pantzer zum ersten Mal nach den Ereignissen an Allerseelen gegenüberzutreten. Dennoch war es wichtig, mit ihm zu sprechen. Er war die einzige Verbindung zu Christoph. Mit den klammen Fingern der rechten Hand tastete sie nach dem Bernstein, mit der Linken presste sie die Wundarzttasche schützend vor den Leib.
Trotz der frühen Stunden fühlte sie sich bereits müde. Selten hatte sie den Weg von der Kneiphofer zur Löbenichter Langgasse als so anstrengend empfunden wie an diesem Samstag. Die Schmiedegasse hatte sie gemieden, um nicht unverhofft Christoph zu begegnen. Sie ängstigte sich vor einer abermaligen Zurückweisung. Bei der Erinnerung an den eisigen Blick, den er ihr bei der Begegnung mit dem Studenten zugeworfen hatte, gefror ihr selbst Tage später noch das Blut in den Adern. Doch auch auf der anderen Strecke über Krämerbrücke und Altstädter Markt hatte sie sich nicht sicher gefühlt. Hinter jeder Ecke vermutete sie einen Trupp schlagender Studenten oder, viel schlimmer noch, Mathias und seine kurfürstlichen Dragoner.
Verwirrt lächelte sie. Am Tag des heiligen Karl Borromäus sollte sie eigentlich wohlgemut sein. Immerhin feierte sie ihn als ihren Namenstag. Das Wetter schien ihrem Ehrentag gerecht werden zu wollen. Wie schon am Vortag strahlte die Sonne trotz Novemberbeginns vom azurblauen Himmel. Lediglich an Wärme mangelte es. Das mochte vom kräftigen Ostwind rühren, der erbarmungslos von der bevorstehenden Rückkehr des so früh eingebrochenen Winters kündete.
Das laute Schlagen eines losen Fensterladens schreckte sie auf. Im ersten Geschoss des Nachbarhauses beugte sich die Magd aus einem offenen Fenster und versuchte, nach dem hin- und herschwingenden Laden zu greifen. »Verflixt!«, rief sie. Schon wollte Carlotta sie ermahnen, da bemerkte sie, dass die Magd nicht des Fensterladens wegen geflucht hatte. Starr sah sie ostwärts zum Sackheimer Tor. Carlottas Herz begann zu rasen. Tauchten ausgerechnet jetzt wieder Mathias und seine Dragoner auf? Dröhnende Hufschläge auf dem Pflaster ließen das Schlimmste befürchten. Auch sie wandte den Kopf Richtung Stadttor, konnte von ihrem Standort aus jedoch nichts erkennen. Eine schwarze Katze sprang fauchend von links aus einem Hof nach rechts über die Straße. Carlotta bückte sich, um dem Unglückstier eine Handvoll Steine hinterherzuwerfen, da drehte es sich jäh um und schoss von rechts nach links direkt an ihr vorbei zurück in den Hof.
»So schnell kann sich ein schlechtes Omen zum Guten wenden«, hörte sie eine Männerstimme hinter sich. »Verzeiht, Teuerste. Falls ich Euch erschreckt habe, bin ich untröstlich.«
Entschuldigend presste Caspar Pantzer die rechte Hand gegen die Brust und deutete eine Verbeugung an. Carlotta blieb keine Zeit für eine geistreiche Erwiderung. Schon donnerten unzählige Pferdehufe über die Straße. Pantzer zog sie in den Schutz des Eingangs.
»Ihr könnt wieder aufschauen, sie sind vorbei«, verkündete er endlich und klopfte sich den Dreck aus dem Mantel. Wie zufällig stieß er mit der Stiefelspitze gegen einen Stein und kickte ihn schwungvoll dem Trupp hinterher, der durch das Mühltor in der Altstadt verschwand.
Pantzer war nicht der Einzige, der den Reitern offen zürnte. Die ganze Straße hinunter war Schimpfen und Fluchen zu vernehmen. Fäuste wurden empört in die Luft gereckt. An der nächsten Ecke schleuderte ein Knecht den Kurfürstlichen einen Knüppel hinterher. Um nicht unter die Hufe zu kommen, hatte er seinen Karren mit Brettern und Latten umwerfen und in eine Pfütze springen müssen. Kreuz und quer verstreut lag die Ladung im Dreck. Carlotta half einem alten Mütterchen auf, das mitsamt seinem Bündel Reisig hingefallen war. Zitternd kaute die Alte auf den zahnlosen Kiefern und schien nicht zu begreifen, wie ihr geschah. Beruhigend sprach Carlotta auf sie ein, schnürte das Reisig auf der Huckelkieze fest. Ohne ein Wort des Dankes setzte sich das Weib in Bewegung.
»So wird der gute Friedrich Wilhelm nie für Frieden sorgen«, knurrte Pantzer. »Erstaunlich, dass er trotz allem noch ausreichend Muße verspürt, seine engsten Freunde zur Jagd einzuladen.«
»Das war der
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