Das Bernsteinerbe
Freund. Nie würde ich wagen, ihm in die Quere zu kommen. Doch seine Gefühle für Euch kann ich nur zu gut verstehen.«
Sie spürte, wie ihre Wangen zu glühen begannen. Rasch tat sie, als forderte die Behandlung des Ausschlags auf der starkbehaarten Brust ihre ganze Aufmerksamkeit. Er war feinfühlig genug, endlich den Mund zu halten. Sie arbeitete wie besessen, tupfte selbst die geringste Rötung auf seinem Leib ausgiebig mit Rosenöl ab. Darüber verbrauchte sie fast den gesamten Inhalt der Phiole. Die Stiche entlang der Narbe bedurften weniger Öls. Sie entschloss sich, die Wunde noch einmal mit einem Pflaster aus Baumöl, Terpentin, rotem Mangold, Kamillenblüten und Johannisblumen zu bestreichen. Den Rest der Brust versah sie mit einer dünnen Schicht von Meister Johanns Wundersalbe, emsig darauf bedacht, sparsam mit der Kostbarkeit umzugehen. Allzu viel besaß sie nicht mehr davon.
»Danke«, sagte er. »Ich weiß Euer Bemühen um meine Gesundheit wirklich zu schätzen, gerade, was die kostbare Salbe anbetrifft.«
»Das solltet Ihr einige Tage einwirken lassen«, empfahl sie rasch mit heiserer Stimme. »Nächste Woche werde ich den Verband noch einmal wechseln. Bis dahin hat die Haut ausreichend Zeit, sich von der Entzündung zu erholen.«
Geschickt wickelte sie ihm frisches Leinen um den Oberkörper und half ihm, das Hemd darüberzuziehen. Dann packte sie ihre Tiegel und Tücher zurück in die Tasche, nahm den Mantel mit dem warmen Pelzkragen vom Haken und wollte sich verabschieden.
»Bitte macht Euch nichts vor, beste Carlotta«, hielt er sie noch einmal zurück. »Ihr wisst genauso gut wie ich, dass Christoph und Ihr füreinander bestimmt seid. Wehrt Euch nicht dagegen, sondern kämpft um Euer Glück. Glaubt mir, er ist es wert.«
Verwirrt starrte sie ihn an, bis sie wieder imstande war, sich zu rühren. Ohne sich noch einmal umzusehen, hastete sie aus dem Laboratorium, huschte durch die Enge der Offizin zur Tür. Ihr Herz raste. Sie wollte nur noch weg. Im Gehen stopfte sie das rotblonde Haar unter den dicken Schal. So erreichte sie die Tür. Wie von selbst schwang sie auf. Als sie den Blick hob, meinte sie, im Erdboden versinken zu müssen. Auf der Schwelle stand Christoph. Erschrocken blickte sie ihn an, unfähig, auch nur eine Silbe hervorzubringen.
»Du?«, krächzte er. Er war nicht weniger verwirrt als sie. Sie taumelte, rang mit sich. Wie gern ließe sie sich einfach gegen ihn fallen. Einen Moment lang bildete sie sich ein, er streckte die Hände nach ihr aus. Dann aber verhärteten sich seine Züge. Von dem spöttischen Lächeln, das sie so liebte, fand sich nicht die geringste Spur. Auch das Grübchen am Kinn war verschwunden. Dafür blickten die grauen Augen starr und fremd, ähnlich wie letztens beim Zwischenfall mit dem Studenten. Entschlossen drängte sie sich an ihm vorbei nach draußen. Weg, nur weg von hier!, war ihr einziger Gedanke.
9
W ie von Sinnen stürzte sich Carlotta in das Gedränge auf der Löbenichter Langgasse. Schon nach wenigen Schritten stolperte sie über die schwarze Katze, die von der linken Straßenseite herübersprang. Fauchend schoss das Tier nach rechts in den Hof, ein aufgeregt kläffender Hund versuchte, ihr zu folgen, war allerdings zu groß, ebenfalls durch die Lücke im Tor kriechen zu können. Carlotta beobachtete es im Vorbeilaufen, blickte dann aber stur nach vorn. Am Brunnen der Malzbrauerzunft herrschte der übliche Trubel. Pantzers Wirtschafterin schien unter den dort versammelten Frauen das Wort zu führen. Damit die Frau sie nicht entdeckte, schlang Carlotta sich den Schal höher um Mund und Nase und flüchtete auf die andere Straßenseite. Unerkannt erreichte sie das Tor zur Altstadt. Die wachhabenden Stadtknechte winkten sie vorbei. Auf der Altstädter Langgasse atmete sie zum ersten Mal auf, verlangsamte ihre Schritte.
Vom Markt tönten Posaunen und Trompeten herüber, dazwischen erklangen anfeuernde Rufe und Beifallklatschen. Offenbar vergnügten sich der Kurfürst und seine adeligen Gäste auf dem weitläufigen Platz unweit des Schlosses mit munteren Spielen. Die Gefahr war groß, dort Mathias in die Arme zu laufen. Gewiss hielt er mit seinen Dragonern Wache. Da Christoph bei Pantzer war, konnte sie den Rückweg in den Kneiphof gefahrlos durch die Schmiedegasse einschlagen. Eilig wandte sie sich an der nächsten Straßenecke nach rechts.
Die Schmiedegasse lag nahezu ausgestorben da. Erst näher zum Ufer hin sammelten sich wieder mehr
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