Das Bernsteinerbe
recht: Um Christophs Liebe musste sie kämpfen. Er war ihre Zukunft. Sie waren füreinander bestimmt.
»Deine Mutter hat nur noch dich«, sagte sie zu Mathias. »Es ist genug Zeit vergangen, dass ihr das bewusst ist. Sie wird dich nicht mehr zurückweisen.«
Voller Zuversicht, ihn auf den richtigen Weg zu bringen, hakte sie ihn unter und zog ihn fort, Richtung Gasthaus Grüner Baum. Dort pflegte Helmbrecht zu wohnen, wenn er sich längere Zeit in Königsberg aufhielt.
10
M anchmal war Hedwigs Wundergläubigkeit auch von Vorteil. Lina pries sich glücklich, das bereits nach kurzer Zeit im Grohnert’schen Haushalt begriffen zu haben.
»Bist du des Wahnsinns, Milla?« Ungestüm riss Hedwig der Dreizehnjährigen den Korb mit Eiern aus der Hand. »Du kannst an einem Tag wie heute doch keinen Kuchen backen! Der Tag nach Martini ist ein Schwendtag. An einem solchen darf man nichts Neues beginnen, weder im Haus noch im Hof oder Geschäft. Hat dir das nie jemand beigebracht?«
Ob der groben Zurechtweisung wäre das schmächtige Mädchen am liebsten heulend im Küchenboden versunken. Schützend stellte Lina sich vor sie. »Dann wird es heute also nur die Reste von gestern geben.«
Sie bemühte sich um einen enttäuschten Tonfall. Niemand sollte merken, dass ihr das gerade zupasskam. Vorwitzig lupfte sie den Deckel vom Bräter. Die Überbleibsel der Martinsgans ergaben nicht eben eine stattliche Menge. Schon schwand ihre Hoffnung, sich rasch aus der Küche stehlen zu können. Dabei wollte sie doch am Nachmittag für zwei oder drei Stunden fort, zum heimlichen Stelldichein mit Humbert Steutner. Es war höchste Zeit, den Liebsten fest an sich zu drücken. Nach allem, was mit Carlotta und dem jungen Medicus geschehen war, sehnte sie die Berührung mit dem Schreiber noch inständiger herbei. Ihn all die vergangenen Tage aus der Ferne zwar gesehen, ihn im Kontor so nah bei sich gewusst, aber niemals berührt zu haben, war Qual genug gewesen. Sie musste ihn spüren, seine Hände über ihre Haut wandern fühlen. Wenn schon der kleine Karl nicht bei ihr war, brauchte sie Steutners Wärme. Ihre Wangen röteten sich. Hastig öffnete sie die Bodenklappe und schlüpfte in den kühlen Kellerverschlag, um die restlichen Schüsseln heraufzuholen. Wenigstens waren noch eine ordentliche Portion Kraut und eine ganze Schüssel von den gekochten Äpfeln übrig. Das Brot war hart, doch es musste unbedingt mit auf den Tisch. Frisches durfte bei Hedwig sonntags nicht gebacken werden.
»Zum Glück sind die beiden Grohnert-Damen allein«, entfuhr es ihr, als sie alles unter dem prüfenden Blick der Alten auf dem Tisch aufreihte. »Wollte sich der ehrwürdige Helmbrecht einfinden, müsste er hungrig von der Tafel aufstehen.«
»Natürlich sind die Grohnert-Damen allein!« Hedwig schnaubte empört. »Und du weißt genau, warum das so ist. Seit dem unerhörten Auftritt der Witwe Gerke in der Börse steht unserer lieben Patronin nicht mehr der Sinn nach Besuch. Ganz still ist es auf einmal um sie geworden. Nicht einmal der gute Helmbrecht hat sich seither oft blicken lassen.« Sie hielt inne und starrte kopfschüttelnd ins Feuer. Dann gab sie sich einen Ruck. »Abgesehen davon ist bei mir noch nie jemand hungrig vom Tisch aufgestanden. Pass gut auf, gleich zeige ich dir, wie man auch aus Resten noch ein üppiges Mahl bereitet, dass sich die Tische biegen und die Herrschaften sich die prallen Bäuche halten.«
Schon war ihr Ehrgeiz geweckt, und sie klapperte umtriebig mit Pfannen und Töpfen. Lina schmunzelte. Ihre Rechnung war aufgegangen: Hedwig machte sich mehr oder weniger allein ans Kochen. Für Milla und sie blieben nur einige leichte Handlangerdienste. Über dem geschäftigen Treiben vergaß die Köchin schnell ihre trübsinnige Stimmung.
Die beiden Grohnert-Damen zeigten sich dagegen nicht in unbeschwerter Sonntagslaune. Lina war froh, als das Essen vorüber war. Das Geschirr abzuspülen, war ihr allemal lieber, als das gedankenschwere Schweigen der beiden Frauen zu ertragen. In ihrem Eifer putzte sie rascher als sonst die Küche blitzblank. So blieben bis zum Abendbrot mindestens zwei, wenn nicht gar drei Stunden ohne konkrete Aufträge.
»Und du meinst wirklich, sie merkt nicht, dass du weg bist?« Bang piepste Millas Stimmchen, als die beiden Mägde sich in ihrer Kammer unter dem Dach wiederfanden. Die dunklen Rehaugen der Kleinen waren vor Angst geweitet, das schmale Gesicht kreidebleich. Der leichte Blauschimmer ihrer dürren
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