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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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presste sie heraus. Dabei sog sie den herben Geruch seines kräftigen Körpers ein. Tabak und Kaffee mischten sich mit Schweiß und Angst. Auch der Lederduft seiner Stiefel schien ihm am ganzen Körper anzuhaften. Eigentlich, schoss ihr durch den Kopf, roch ein Apotheker anders. Nach Ölen, Kräutern und Gewürzen oder Pulvern. Sie musterte ihn. Und plötzlich wusste sie, woran er sie erinnerte: an einen Soldaten. Kein Zweifel, Pantzer hatte etwas von einem Soldaten, wie sie ihn oft genug getroffen hatte. Die großen Poren rund um die knollige Nase unterstrichen den verwegenen Eindruck seines grobschlächtigen Gesichts. Er war kein Mann, der viel auf sich gab. Umso mehr jedoch gab er auf abergläubische Weisheiten, seltsame Zeichen und Wunder. Einem rechtschaffen Reformierten stand das beileibe nicht an, ebenso wenig einem erprobten Königsberger Apotheker. Verwirrt wandte sie sich von ihm ab.
    »Habe ich Euch erschreckt?« Jäh lachte er auf, ließ sie los und richtete sich halb auf, indem er den schweren Oberkörper auf den angewinkelten Armen abstützte. »Tut mir leid, meine Liebe. Das lag mir fern.«
    »Ich hole meine Tasche.« Froh, einen Moment seinem Dunstkreis zu entkommen, schlüpfte sie in den Vorraum. Die gedrängte Enge dort schien ihr wie eine Wohltat. Sie legte die Stirn gegen die hölzerne Seitenwand eines Regals und atmete tief durch. Der Duft von Myrrhe und Minze stieg ihr in die Nase, getrocknete Kamillenblüten und Salbei mischten sich darunter. Sie lächelte. Wenigstens etwas Vertrautes. Schnuppernd hob sie den Kopf, sah an den Regalen entlang.
    »Wo bleibt Ihr? Findet Ihr Eure Tasche nicht?«, rief Pantzer ungeduldig.
    »Bin schon wieder da«, antwortete sie und eilte zurück zu ihrem Patienten.
    Neben der Pritsche, auf der er sie halb sitzend, halb liegend zurückerwartete, rückte sie sich einen Schemel zurecht. Umständlich stellte sie die Tasche darauf, fand eine hohe Kiste und richtete diese als Ablage für ihre Instrumente und Tiegel ein.
    »Wie oft hat Christoph Euch den Leib verbunden?«, erkundigte sie sich beiläufig. »Welche Salbe hat er aufgetragen?«
    »Was denkt Ihr? Es muss eine ähnlich misslungene Mischung sein wie auch die Tropfen, die er mir verordnet hat.« Er versuchte sich an einem Lächeln. »Nehmt es ihm nicht übel. Er ist nicht allein schuld daran. Ein Physicus wie er muss bei seinem Studium den gelehrten Lateinern und ihren uralten Lehren über die verschiedenen Lebenssäfte lauschen. Über der Begeisterung für all diese Weisheiten vergessen die Herren Studenten jedoch glatt, sich den wahren Herausforderungen zu stellen. Nicht nur die niederen Fertigkeiten wie das ordentliche Verbinden einer Wunde bleiben auf der Strecke. Viel zu selten haben die Herren Studiosi überhaupt einen lebendigen Patienten vor sich. Deshalb sage ich es noch einmal: Ohne Euch ist unser guter Kepler nur ein halber Mediziner. Mit Euch aber könnte er die ganze Welt von sämtlichen Beschwerden heilen.«
    »Ein schwieriges Unterfangen«, erwiderte sie und hieß ihn, sich wieder flach auf dem Rücken auszustrecken. Wenn sie den Apotheker so reden hörte, war ihr, als bohrte sich ihr ein Dolch mitten ins Herz. Sie öffnete eine Phiole Rosenöl, tränkte einen weichen Leinenstreifen damit, wickelte ihn sich um den rechten Zeigefinger und begann, die Pusteln abzutupfen. Angenehmer Duft umhüllte sie. Zunächst hielt Pantzer spürbar die Luft an und verkrampfte. Sobald er merkte, wie wohl das Öl und die sanfte Berührung taten, entspannte er sich. Gewiss tat auch der angenehme Geruch das seine dazu. Schließlich schloss er die Augen, lag völlig ruhig und genoss die Prozedur. Hin und wieder entfuhr ihm ein Seufzer. Sie schmunzelte. »Ich wusste gar nicht, dass Ihr schweigen könnt.«
    »Nur, solange Ihr bei mir seid und mir solche Wohltaten erweist.« Er schlug die Augen wieder auf. Das Braun darin glitzerte bernsteinfarben. Die rauhen Züge um Augen und Mund wirkten auf einmal weicher, die dunklen Flecken auf den Wangen verschwanden. Sein ganzes Gesicht strahlte etwas Unschuldiges aus. Ein vorwitziger Sonnenstrahl kitzelte die dicke Nasenspitze. Einen Moment erstarrte sie, fühlte sich an Helmbrecht erinnert. Pantzer zwinkerte verschwörerisch. Schon war die Ähnlichkeit verschwunden.
    »Was gäbe ich darum, Euer Herz zu gewinnen«, sagte er leise. Erschrocken hob sie den Blick. »Keine Angst«, wiegelte er ab. »Ich werde den Teufel tun und das versuchen, meine Liebe. Christoph ist mein ältester

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