Das Bernsteinerbe
sortiert. In den deckenhohen Regalen stapelten sich die verschiedensten Behältnisse aus Glas, Ton und Holz, lediglich nach dem Gröbsten geordnet in Mineralia, Vegetabilia und Sonstiges. Büschel mit getrockneten Kräutern lagen mal hier, mal dort zwischen den Gefäßen. Säcke verschiedenster Größen standen auf dem Boden, einige geöffnet, so dass sich der kostbare Geruch von Kaffeebohnen und Pfeffer bunt mischte. Auch größere Fässer Branntwein, Wein und Essig standen wild durcheinander mit den übrigen Gewürzen, für die Pantzer ein halbes Vermögen bezahlt haben musste. Ob dieser Verschwendung seufzte Carlotta. Es juckte sie in den Fingern, für Ordnung zu sorgen.
»Das hier ist ein Geheimrezept unseres Freundes«, riss Pantzer sie aus ihren Gedanken und nahm die braune Phiole noch einmal in die Hand. »Nach dem Motto ›Bös muss bös vertreiben‹ hat Christoph mir etwas ganz Besonderes aufgeschrieben. Vergesst nicht, er ist nicht nur der Enkel eines berühmten Astronomen und Sohn des verdienten kurfürstlichen Leibarztes. Zudem ist er inzwischen selbst ein weitgereister Medicus, der bei den besten Köpfen seiner Disziplin studiert hat. Wer auch immer aber seine Tropfen kosten darf, wird noch mehr enttäuscht sein als ich. Gleich habe ich ihm geraten, statt weiter die Nase in die lateinischen Bücher zu stecken, besser zu Euch und Eurer Mutter in die Lehre zu gehen. Ihr versteht Euch auf wirksame Rezepturen einfach hervorragend. Mit Euch an der Seite wäre Christoph als Medicus gewiss bald eine Berühmtheit. Solange er jedoch auf solchen Arzneien wie dieser hier besteht, wird das nichts mit seinem guten Ruf.«
Angewidert spuckte er zur Seite aus. »Keine Sorge also, meine Liebe.« Sanft tätschelte er ihr die Wange. »Ihr seid einfach die bessere Ärztin. Vertraue ich allein auf Christophs Tropfen, besteht die Gefahr, dass ich den Tag nicht mehr erleben werde, an dem ich ohne Schmerzen bin. Gehen wir also besser nach hinten, damit Ihr mir Eure wohltuenden Hände auf den geschundenen Leib legen könnt. Das wird mir besser helfen als zehn weitere Flaschen dieser schrecklichen Medizin.«
Im Gegensatz zur Enge der Offizin war das Laboratorium großzügig angelegt. Carlotta entfuhr ein überraschter Jauchzer, als sie dessen gewahr wurde. Drei große Fenster öffneten sich zwar nach Norden hin, dennoch fiel erstaunlich viel Helligkeit ein. Hinter dem Haus erstreckte sich ein großer, kahler Garten, der allein von niedrigen, kalkweiß getünchten Mauern umgrenzt war. Auch in den Nachbargärten standen keine Bäume oder Sträucher, so dass Pantzers Anwesen von allen Seiten verschwenderisch viel Licht erhielt. Im Laboratorium waren sämtliche Wände und Regale weiß gestrichen. Die Mitte des quadratischen Raumes wurde von einem Tisch beherrscht, auf dem sich neben Waagen, Gewichten und Gefäßen gleich zwei Mikroskope befanden. Soweit Carlotta auf den ersten Blick feststellen konnte, handelte es sich sowohl um ein Gerät aus Venedig, wie ihre Mutter es vertrieb, als auch um eines aus der Delfter Umgebung. Daneben lagen nicht minder kostbare Folianten.
»Überrascht?«, fragte Pantzer und weidete sich an ihrem Staunen. »Nach dem Sammelsurium vorn in der Offizin hättet Ihr mir dieses Laboratorium wohl nicht zugetraut, oder?« Grinsend humpelte er zum Tisch und schob ihr eines der Bücher so hin, dass sie die Schrift darin lesen konnte. »Überzeugt Euch selbst, was ich mir zu Gemüte führe, wenn ich nicht am Tresen einen Kräutertee abfülle, Tabletten schneide oder eine Brandsalbe mische. Keine Sorge. Es steht nichts Verwerfliches in den Büchern. Es ist auch keine verbotene Hexenschrift, sondern nur das Feldbuch der Wundarznei des berühmten Hans von Gersdorff. Ihr werdet es kennen und ahnen, warum ich es mir besorgt habe.«
Mühsam entledigte er sich seines schweren Wollmantels und öffnete die Knöpfe seines dunkelgrünen Rocks. »Entschuldigt, ich sehe, Ihr tragt noch Euren Pelz. Ihr haltet wohl viel von den alten Weisheiten zum Wetter. Heißt es nicht ›Wenn es an Karolus stürmt und schneit, dann lege deinen Pelz bereit‹?«
»Und heiz den Ofen wacker ein, bald zieht die Kälte bei dir ein«, ergänzte sie, während sie den Umhang abstreifte. »Wie kommt es, dass Ihr das kennt?«
Zu ihrem Bedauern ging er nicht darauf ein, sondern entkleidete sich schweigend weiter. Dass sie ihn dabei beobachtete, schien ihm nicht das Geringste auszumachen. Endlich trug er lediglich noch Hosen und Stiefel und
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