Das Bernsteinerbe
präsentierte sich ohne Scham mit gerade durchgestrecktem Rücken vor ihr. Sogleich stachen ihr die nachlässig um den Oberkörper geschlungenen Bandagen ins Auge. An manchen Stellen hatte sich der Verband gelockert, verdiente kaum mehr seine Bezeichnung. Dunkle Flecken verrieten, dass die Wunde unter dem Leinen weiter nässte.
»Wer hat zuletzt die Wunde versorgt?«
Halb wandte er den Leib ab, als er sagte: »Das könnt Ihr Euch denken.«
»Guter Gott, Pantzer, Ihr habt doch nicht etwa wieder selbst …?«
Sofort fiel er ihr ins Wort: »Nein, nein. Stellt Euch vor: Selbst ich lerne gelegentlich dazu.« Das Gesicht zu einem schiefen Lächeln verzerrt, suchte er treuherzig ihren Blick. »Meine Salbe war mir wahrlich Lehre genug. Solche Schmerzen möchte ich nicht noch einmal erleiden.«
»Euer Wort in Gottes Ohr. Dann hat also Christoph Euch behandelt?« Vorsichtig tippte sie auf eine Stelle des Leinens. Sein scharfes Luftholen war Antwort genug. Weiterhin plagten ihn starke Schmerzen.
»Das konntet Ihr Euch doch denken. Oder seid Ihr etwa nicht gekommen, um Euch mit eigenen Augen davon zu überzeugen, wie bitter nötig er Eure Unterstützung hat?« Eindringlich sah er sie an. Nun war es an ihr, sich unangenehm berührt abzuwenden.
»Selten ist mir ein so kluger Medicus untergekommen wie unser guter Christoph«, fuhr Pantzer fort. »Ein Jammer, dass es ihm derart an praktischem Talent für die Behandlung seiner Patienten fehlt. Wenn Ihr mich fragt, wird es höchste Zeit, dass Ihr ihm zur Seite steht.«
Glühende Hitze erfasste sie. Sie meinte, ihr platze der Schädel. »Könnt Ihr Euch irgendwo hinlegen?«, schlug sie hastig vor. »Ich muss mir das genauer ansehen.«
»Schade«, bemerkte er vieldeutig und trottete zur Stirnseite des Raumes, wo er sich auf einer schmalen Bank ausstreckte, die halb verborgen hinter einer brusthohen, mit hellem Leinen überzogenen Trennwand stand.
»Lasst uns noch ein wenig über diesen Spruch zum heiligen Karolus reden«, schlug er vor, als sie das Leinen von seinem Leib zu lösen begann. »Wenn mich nicht alles täuscht, begeht Ihr als gute Katholikin heute Euren Namenstag.«
Je mehr Stoff sie abwickelte, desto mehr keuchte er beim Sprechen. »Entschuldigt«, murmelte sie und konzentrierte sich darauf, den teilweise am Wundschorf festgeklebten Stoff so behutsam wie möglich zu lösen. Es gelang nicht immer, wie sein Aufstöhnen verriet.
»Wie gütig von Euch«, japste er weiter, »ausgerechnet an diesem Ehrentag meine schmutzige Wunde zu versorgen.«
Als sie die heikelsten Stellen freigelegt hatte, atmete er erleichtert auf. Sie legte eine kurze Pause ein, die er sofort ausnutzte, um weiterzureden: »Eurem Namenspatron macht Ihr jedenfalls allergrößte Ehre. Karl Borromäus von Mailand hat sich ebenfalls selbstlos in den Dienst der Kranken gestellt, vor allem der Pestkranken, nicht wahr? Verzeiht einem armen Reformierten wie mir, nicht ganz so firm in diesen Dingen zu sein. Trotzdem ist mir, als hättet auch Ihr viel Übung im Umgang mit Pestkranken, vor allem Pesttoten. Erinnere ich mich richtig an die Geschichte mit den Särgen? Wart Ihr nicht diejenige, die dafür gesorgt hat, dass die Kurfürstlichen so vom überstürzten Einmarsch in Königsberg abgehalten wurden? Es wäre auch zu schlimm, sie hätten sich an den nicht vorhandenen Toten in den Särgen angesteckt. Wie fürsorglich von Euch, selbst das Wohl der Preußen im Auge zu behalten. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt.«
Carlotta ging nicht auf seine Scherze ein. Zu erschreckend war für sie der Anblick seines entblößten Leibes. Noch immer war die Haut von entzündeten Pusteln übersät. Gelbe Feuchtigkeit drang aus der Wunde, das dunkle Brusthaar klebte darauf.
»Die Salbe bereitet Euch wohl nach wie vor große Beschwerden. Ein beruhigendes Pflaster aus roter Mennige, Leinöl, Bleiweiß und Seife wird Euch Linderung verschaffen. Zum Glück habe ich davon eingesteckt.«
Besorgt prüfte sie durch leichtes Tupfen die Beschaffenheit der Pusteln. Sogleich schnellte Pantzers Hand hoch und schloss sich um ihr Handgelenk. Unverkennbar stand Furcht in seinen Augen, das Grinsen war ihm vergangen. »Heute ist Samstag, meine Liebe. Ihr wisst, was das heißt? Ich kann es wohl kaum zulassen, dass Ihr an dem Tag, an dem Christus, unser Erlöser, im Grab geruht hat, zu Euren Pflastern greift. Dadurch versündigt Ihr Euch und werdet nach Eurem Tod keine Ruhe mehr finden.«
»So spricht nicht unbedingt ein Reformierter«,
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