Das Bernsteinerbe
unterschätzen, Verehrtester.« Leise, aber bestimmt wagte Heydrich Widerspruch. Dabei schauten die hellen Augen ehrfurchtsvoll über den Rand der Brille zu Kepler. »Immerhin erspart sie Euch, selbst zum Skalpell greifen zu müssen. Wie gut, dass die Wundärzte sich an Eurer statt um die lästigen Operationen bemühen, genauso wie um das leidige Schröpfen und die Aderlässe. Das verschafft Euch ausreichend Zeit, Euch mit der hehren Erforschung des menschlichen Körpers zu beschäftigen oder gar die neuesten Errungenschaften von so großen Geistern wie Harvey zu studieren.«
»Wie wahr, mein Bester, wie wahr.« Kepler wurde ungeduldig. Sein Bart zitterte, die braunen Augen zogen sich unter den buschigen Brauen eng zusammen. Er trommelte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch. »Doch wir sind nicht hier, um uns über die Vorteile der Wundarznei auszutauschen. Verratet mir lieber, was Ihr Euch wirklich von der Erforschung dieser Salbe versprecht. Sie scheint also von nachweisbarem Nutzen? Hofft Ihr auf ein ähnlich gutes Geschäft wie mit dem Theriak?« Abermals hob Heydrich zu einem Einwurf an, doch Kepler winkte mit der Hand ab und ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Gelingt es Euch, die besondere Wirksamkeit der Salbe zu belegen, wäre es durchaus denkbar, dass Ihr Eure Erkenntnisse einmal vor der ehrwürdigen Fakultät präsentiert. Wie Ihr wisst, hat der alte Pantzer aus dem Löbenicht vor siebzehn Jahren schon dem erlauchten Kreis der Professoren und Studenten die Herstellung seines Theriaks vorgeführt. Es ist außerdem durchaus im Bereich des Möglichen, mit dem Kurfürsten auch noch einmal in Bezug auf Eure Person über das Privileg der Hofapotheke zu sprechen.«
Er klopfte dem Apotheker auf die Schulter und wippte auf den Fußspitzen, während er sich an Heydrichs Gesichtsausdruck weidete. Der schwankte zwischen unverhohlener Freude und Erschrecken. Kaum wagte er, Carlotta anzusehen. Dass Heydrich mit Meister Johanns Wundersalbe eine solche Ehre zuteilwerden sollte, war ein offener Affront gegen sie und ihre Mutter.
»Vater, es ist wohl genug.« Christophs Ton klang bestimmt. »Erstens muss das Nachmischen der Salbe überhaupt einmal gelingen, und zweitens wird wohl kaum der gute Apotheker Heydrich dafür auszuzeichnen sein. Schließlich handelt es sich um die Salbe, die die verehrte Frau Grohnert zusammen mit ihrer Tochter verwendet. Ihnen beiden gebührt der Ruhm.«
»Aber Heydrich ist derjenige, der die Rezeptur entschlüsselt. Oder willst du ernsthaft behaupten, deine kleine Freundin hier«, damit nickte er verächtlich in Richtung Carlotta, »verfüge auch nur annähernd über das Wissen, ihm diesbezüglich das Wasser reichen zu können? Vergiss nicht, Apotheker Heydrich hat nicht nur eine solide Ausbildung erfahren, sondern kann auch auf eine jahrzehntelange Erfahrung in seinem Beruf bauen. Und er ist ein Mann der Wissenschaft!«
Abermals wippte er auf den Zehenspitzen, wodurch er bald eine gute Handbreit größer wirkte als sein Sohn. Die buschigen Augenbrauen verdüsterten sein Antlitz, die riesige Nase verlieh ihm ein bedrohliches Aussehen.
»Was nicht unbedingt von Vorteil sein muss«, erwiderte Christoph aufgebracht.
»Halt dein loses Mundwerk!« Keplers dröhnende Stimme schallte durch den weitläufigen Raum. Krachend landete seine Faust auf dem Tisch. Das Gesicht dunkelrot, schwollen die Adern an seiner Schläfe an. Er schnappte nach Atem, einmal, zweimal, und fasste sich plötzlich an die Kehle. Sein massiger Leib schwankte, wild ruderte er mit den Armen durch die Luft.
Als Erste begriff Carlotta, dass er Hilfe brauchte. »Schnell!«, rief sie und sprang zu ihm, um ihn zu stützen. Unter der Last seines schweren Körpers drohte sie zusammenzubrechen. »Wir müssen ihn irgendwo hinlegen«, keuchte sie und sah sich suchend nach einer Bank um. Zugleich versuchte sie, den schnaufenden Kepler zu beruhigen. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn, der Mund öffnete und schloss sich ähnlich dem eines Karpfens im Teich. »Keine Sorge«, flüsterte sie. »Es wird alles gut. Gleich geht es Euch besser.«
Endlich erwachte Christoph aus seiner Starre und eilte ihr zu Hilfe. Beidseits griffen sie dem Alten unter die Arme, bis das Zittern seines Körpers nachließ. Heydrich verfiel in eine wenig hilfreiche Betriebsamkeit, rannte ziellos umher und raufte sich das spärliche Haar. Friederike dagegen winkte Carlotta und Christoph, ihr zu folgen. Den keuchenden alten Medicus zwischen sich mehr
Weitere Kostenlose Bücher