Das Bernsteinerbe
letztens selbst erklärt: Wenn es um ihre Ziele geht, sind die Königsberger gern groß mit den Worten, aber wenn es ans Kämpfen mit den Waffen geht, erweisen sie sich als klitzeklein. Dann scheuen sie davor zurück, die eigenen Angelegenheiten tatkräftig zu verteidigen. Ich hoffe, du bist auf dem besten Weg, dich anders zu entwickeln. Im Zweifelsfall scheinst du wirklich für unsere Sache kämpfen zu wollen.«
»Um dich für immer bei mir zu haben, würde ich alles tun, meine Liebe.« Geziert legte er sich die Hand aufs Herz, machte Anstalten, vor ihr auf die Knie zu sinken. Sie hielt ihn zurück. Ungeachtet von Pantzers Anwesenheit fielen sie einander in die Arme und küssten sich ausgiebig. Der Apotheker musste sich einige Male räuspern, bevor sie begriffen und schweren Herzens ihren beschaulichen Rückzugsort verließen.
16
E ng presste Carlotta den Weidekorb gegen den Leib und bemühte sich, Hedwig in dem dichten Gedränge im Auge zu behalten. Sie liebte es, die Wirtschafterin zum Markt zu begleiten. An einem so überraschend milden, sonnigen Novembertag wie diesem machte es gleich noch mehr Spaß.
»Es wundert mich, wie schnell du bereit warst, mit mir zu kommen«, strahlte Hedwig sie aus ihren runden Augen an.
»Ich wollte einfach mal etwas anderes tun, als im Kontor langweilige Rechnungen zu kontrollieren oder Briefe abzulegen«, erwiderte Carlotta, die kurz zuvor erst von ihrem täglichen Krankenbesuch bei Kepler zurückgekehrt war.
»Dabei lässt du dich in letzter Zeit herzlich wenig im Kontor blicken. Deine Mutter macht sich schon Gedanken.« Hedwig überquerte rasch die Straße, um auf der rechten Seite der Langgasse weiterzugehen. »Zu Heydrich in die Apotheke gehst du auch nicht mehr, wie ich sehe. Bei Pantzer im Löbenicht geht es wohl weitaus lustiger zu, was? Musst nicht rot werden, Liebes. Ich kann es mir vorstellen. Die drei Heydrich-Töchter sind wahre Furien. Ich bin froh, dass sich durch die Geschichte mit dem alten Kepler eine andere Möglichkeit für dich ergeben hat, deine Rezepturen zu erforschen. Selbst der junge Medicus erscheint mir in letzter Zeit nicht mehr gar so flattrig. Pass nur auf, dass deine Besuche in der Schmiedegasse nicht zu auffällig werden. Du weißt, wie gern getratscht wird. Ach, Kindchen, genieß das Jungsein, solange es geht!«
Vergnügt watschelte die rundliche Köchin mal neben, mal vor ihr, mal verschwand sie für einige Momente im Getümmel. Tauchte sie wieder auf, keuchte ihr Atem in kleinen Wolken aus dem Mund. Geschäftig sog sie das Treiben in den Gassen auf, achtete dabei weder auf Carlotta noch auf den Weg, wie das gelegentliche Stolpern und Straucheln bewies. Ihre rosigen Wangen glühten vor Eifer, auch die runden Augen strahlten vergnügt. Der gedrungenen Gestalt haftete eine Leichtigkeit an, als stapfte sie nicht durch die Reste schweren, nassen Novemberschnees, sondern schlenderte über blühende Frühlingswiesen. Carlotta fühlte sich ähnlich an diesem wunderschönen Novembermorgen. Am liebsten hätte sie zu singen begonnen, so wohl war ihr zumute.
»Habe ich es dir nicht immer schon gesagt, Kind?«, krächzte die Köchin und verharrte an einer Hausecke, um auf sie zu warten. »Der heilige Leopold ist dem Altweibersommer hold. So heftig es letzte Nacht gestürmt hat, so mild zeigt sich der heutige Tag.«
Nicht einmal der feuchte Nebelschleier, der in den Gassen hing und die Kleidung klamm werden ließ, konnte ihr die Laune verderben. Carlotta schmunzelte, hatte Hedwig darüber doch glatt vergessen, dass Mittwoch war. Ein Unglückstag, wie sie sonst so gern gleich beim Frühstück verlauten ließ und sich allein schon dadurch bestätigt fühlte, dass Carlotta sich jedes Mal vor Schreck die Zunge an der heißen Milch verbrannte oder den Gerstenbrei versalzte.
»Das ist ein Auf und Ab mit Kalt und Warm dieses Jahr, das lässt nichts Gutes erwarten«, plapperte die alte Wirtschafterin weiter. »Trotzdem kein Grund zum Müßiggang, mein Kleines«, mahnte sie Carlotta und zwickte sie sanft in die Wange. »Wenn wir in deinem Tempo weitergehen, erreichen wir bis zum Mittagsläuten nicht einmal den Markt. Du siehst ja, was heute los ist. Wir müssen uns beeilen, sonst schauen wir nachher hungrig in leere Kochtöpfe.«
Entschlossen fasste sie Carlotta an der Hand und stolperte durch die Brotbänkenstraße weiter zum Kneiphofer Markt. Gern ließ Carlotta sie gewähren. Ihre Gedanken kreisten um Christoph. Jede Pore ihrer Haut atmete die Erinnerung
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