Das Bernsteinerbe
aus der Diele machten sie hellhörig. Pantzer bemerkte es ebenfalls und zog die Augenbraue hoch.
»Ich muss kurz nach nebenan«, sagte er, schlich aber statt in den Ladenraum zur Dielentür. Ruckartig öffnete er sie und fing die dahinter lauschende Wirtschafterin mit beiden Händen auf. »Ist es denn die Möglichkeit! So ein neugieriges Weib!«, polterte er los, trat in die Diele und schloss die Tür, um mit seiner Wirtschafterin ungestört ins Gericht zu gehen.
Christoph nutzte die Gelegenheit, zog Carlotta eng an sich und küsste sie. »Mach dir nicht so viele Sorgen, Liebste. Schließlich wird alles gut werden. Vertrau Pantzer. Er trägt das Herz auf dem rechten Fleck. Zudem stammt er aus einer alteingesessenen Apothekerfamilie. Wenn wir Glück haben, gelingt es ihm tatsächlich, die Wundersalbe nachzumischen und uns unser künftiges Einkommen als Jahrmarktswunderärzte zu sichern. Freust du dich nicht auch auf diese Aussichten?«
»Ich freue mich vor allem auf das Leben an deiner Seite, das mich unstet von Dorf zu Dorf ziehen und den Rest meiner Tage in windigen Planwagen verbringen lässt.«
»Dafür haben wir uns beide bis ans Ende unserer Tage lieb, und niemand stört uns, unsere Liebe zu leben.« Er zwinkerte schelmisch.
»Ach, Liebster«, seufzte sie. »Du bist unverbesserlich! Dabei ist es offensichtlich, dass weder du noch ich uns der Verantwortung entziehen können. Dein Vater erwartet, dass du Stadtphysicus wirst, und meine Mutter wird mir dereinst das Kontor übergeben. Nie und nimmer findet sich da ein Weg, den wir beide zusammen gehen können.«
»Solange wir beide wissen, was wir wollen, wird sich immer ein Weg finden, den wir gemeinsam gehen können«, sagte Christoph und küsste sie abermals. »Und wenn es nicht der Weg auf die Jahrmärkte ist, dann lerne ich eben, Bernsteine zu verkaufen und mit Mikroskopen zu handeln oder Stoffe in Venedig einzukaufen. Hauptsache, du bist bei mir, Liebste!«
»Was würde ich nur ohne dich tun?« Das Gesicht in den Stoff seines Hemdes gedrückt, seinen leicht bitteren Geruch in der Nase, wünschte sie sich, die Zeit würde stehenbleiben und sie könnten immerfort so beieinander sein.
20
D er Besuch bei Stadtphysicus Kepler dauerte auch an diesem Freitagmorgen nicht lang. Rasch war der Puls gefühlt, der Urin betrachtet und die Augenfarbe kontrolliert. Kepler wurde immer mürrischer, je besser es ihm ging. Erleichtert atmete Carlotta auf, als sie sich bereits nach wenigen Minuten guten Gewissens von ihm verabschieden konnte. Zu ihrer Enttäuschung traf sie jedoch Christoph nicht in seinem Elternhaus an.
»Ihr braucht Euch nicht wundern, wo der junge Medicus steckt«, brummte Marthe. »Ihr seid schließlich schuld, dass er frühmorgens schon zu seinem Freund in die Apotheke im Löbenicht schleicht. Einen richtigen Floh habt Ihr ihm da ins Ohr gesetzt! Oder wollt Ihr etwa abstreiten, ihn auf die Idee gebracht zu haben, es mit dem Rühren von Salben zu versuchen? Von allein wäre unser junger Herr nie darauf gekommen. Das alles macht er doch erst, seit er so viel mit Euch zusammenhockt. Als ob das die Arbeit für einen richtigen Medicus wäre! Nie und nimmer wird sein Vater gesund, wenn er hört, was sein Filius neuerdings treibt.«
Carlotta zuckte mit den Schultern. Sollte die Alte doch denken, was sie wollte. In diesem Leben würde sie es ihr ohnehin niemals recht machen. Sie zog die Heuke über, verknotete den Schal und nahm ihre Wundarzttasche.
»Dann bis morgen, Verehrteste«, grüßte sie gegen Marthes breiten Rücken, ohne mehr als ein Grunzen zur Antwort zu erwarten.
Draußen auf der Schmiedegasse entschied sie, nicht in die Löbenichter Apotheke zu gehen. Es würde den beiden Burschen guttun, einmal allein über den Rezepturen zu brüten. Wahrscheinlich wollte Christoph das auch so, hatte sich allerdings nicht getraut, es ihr direkt zu sagen. Deshalb war er im Morgengrauen allein davongeeilt. Kurz vor dem Fischmarkt zwischen Krämer- und Schmiedebrücke begegnete sie Hedwig. Das wertete sie als Zeichen, der Köchin wieder einmal beim Einkaufen zur Hand zu gehen.
Unweit des Pregelufers ragten die imposanten Giebel der Kaufmannshäuser in den grauen Herbsthimmel. Schwach nur spiegelte sich ein Hauch von Sonnenschein in den blankpolierten Fensterscheiben. Auf dem breiten Streifen zwischen der Häuserreihe und dem trägen Fluss erstreckten sich die Stände der Fischweiber und Händler. An der Kaimauer waren einige Kähne vertäut, dazwischen
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