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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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gute Egloff, dass das keine Ablagefächer sind. Glaub mir, Kind, mehr als einmal schon habe ich dort wichtige Schriftstücke gefunden, die er einfach hat liegenlassen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die gute Frau Grohnert das billigt!«
    Lina nickte andächtig, wagte jedoch nicht, etwas einzuwenden.
    »Schade, dass es zu kalt ist, um die Scheiben zu putzen«, fuhr Hedwig geschäftig fort. »Wenn du dich daran versuchst, friert dir gleich der Lappen an. Also lass es bitte bleiben, ganz gleich, was Egloff sagt. Der hat dir gar nichts zu befehlen. Doch vergiss nicht die Sprossen an den Fenstern. Wenigstens die an der Innenseite sollten frei von Staub sein. Ach, ich sehe schon«, sie schnaufte zufrieden und rieb sich abermals über die Arme, »mit all diesen Aufgaben bist du gut und gern bis weit in den restlichen Nachmittag beschäftigt.«
    Lina wagte keinen Mucks. Dabei verleitete sie die Aussicht, den restlichen Tag in unmittelbarer Nähe zu Steutner zu verbringen, fast dazu, die Alte beglückt zu umarmen. Als läse sie ihre Gedanken, zwinkerte Hedwig ihr wohlwollend zu.
    »Ich denke, du weißt es zu schätzen, dass ich dich mit dieser besonderen Aufgabe betraue.«
    Lina nickte, auch wenn sie sich über die Formulierung wunderte. Dann aber begriff sie und erwiderte das Zwinkern. Hedwigs Lachen wurde breiter.
    »Wusste ich doch, dass du eine von der schlauen Sorte bist«, krächzte sie zufrieden. Lina schmunzelte.
    »Gehe ich recht davon aus, dass Ihr mich nicht nur zum Putzen ins Kontor schickt? Denn das könnte Milla schließlich ebenso gut erledigen wie ich.«
    Sie stemmte die Hände in die Hüften und schwang wie beim Tanz hin und her. Da Hedwig immer noch lächelte, wurde Lina mutiger. »Und wenn ich schon einmal so lange dort unten wischen darf, kann ich auch ein wenig die Ohren spitzen. Das eine oder andere von dem aufzuschnappen, was die Herren da bereden, könnte nicht schaden, oder?«
    »Mir scheint, in deinem Kopf ist wirklich nicht nur Platz für deinen Liebsten.« Fest kniff Hedwig ihr in die Wange. »Pass gut auf, mein Kind. Lass dir diese wertvolle Gabe nicht von falschem Liebeszauber vermasseln. Und jetzt fort mit dir, unten wartet genug Arbeit auf dich!«
    5
    W ie erwartet, reagierte Egloff alles andere als erfreut über Linas Auftauchen.
    »Du kannst jetzt nicht hier putzen«, erklärte er barsch, als sie die Tür aufstieß.
    »Hedwig schickt mich«, erwiderte sie ruhig und ging mit Wischeimer, Putz- und Staublappen bewaffnet an dem erstaunt aufblickenden Breysig und dem erfreut lächelnden Steutner vorbei zum Pult des ältesten Schreibers. »Ich soll hier im Kontor die Regale mit Zitronenwasser auswischen und sämtliche Fächer, Fenstersprossen und Pulte abstauben.« Sie staunte über sich selbst, wie ruhig sie sprach.
    Eine Zornesfalte grub sich oberhalb von Egloffs Nasenwurzel ein. »Das kannst du heute Abend machen, wenn wir mit unserer Arbeit fertig sind«, knurrte er und wollte sich bereits wieder seinen Papieren zuwenden.
    »Nein«, widersprach sie laut. »Abends geht das nicht. Die Talglichter sind nicht hell genug. Zudem hat die Köchin ausdrücklich darauf bestanden, dass ich das jetzt tue.«
    Aufreizend stellte sie den randvollen Eimer direkt vor dem Schreiber ab. Wasser schwappte über den Rand auf den Dielenboden. Einige Spritzer landeten auf seinen Stiefeln. Weiter hinten hörte sie Steutner mit den Füßen scharren. Sie brauchte den Liebsten nicht anzusehen, um zu wissen, wie sehr ihn ihr Auftauchen erheiterte. Selbst Breysig grunzte belustigt, nur Egloff rang um Fassung.
    »Das ist doch, das heißt jetzt, nein, das ist mir noch nie passiert«, stammelte er verblüfft.
    Ohne ihn weiter zu beachten, stapfte sie zum Regal an der rückwärtigen Wand des Kontors. Ihr Blick glitt über das trutzige Möbel aus dunklem Holz. Das verhieß eine aufwendige Putzerei! Dicht an dicht reihten sich die dicken Kontorbücher aneinander. Lina konnte nicht sonderlich gut lesen. Ohnehin interessierte es sie nicht, was auf den vergilbten Rückenschildern stand. Allein die verschiedenen Schwünge, mit denen die Buchstaben und Zahlen gemalt waren, verrieten, dass sich Generationen von Schreibern darin verewigt hatten. Zeit für Ehrfurcht ob dieser Erkenntnis gönnte sie sich nicht. Das Einzige, was sie in diesem Moment beschäftigte, war die Frage, wo sie am besten mit der Arbeit beginnen sollte. In jedem Fall musste sie sich die Leiter heranrücken. Die lehnte an der Stirnseite des Kontors, gleich neben

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