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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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der Tür und nicht weit von Steutners Pult entfernt. Auf leisen Sohlen schlich sie dorthin.
    »Du lässt dich wohl gar nicht aufhalten«, schimpfte Egloff hinter ihr her. Sie tat, als hörte sie nichts. Laut stampfte er mit dem Fuß auf, sortierte raschelnd das Papier auf dem Pult, knallte Griffel und Feder absichtlich laut in die Schale. Sogar die Streusandbüchse musste dafür herhalten, seine Unruhe zu bekämpfen. Als dennoch nichts geschah, ergab er sich seinem Schicksal und widmete sich wieder seinen Papieren.
    Kaum war Lina bei der Leiter angekommen, äugte sie zu Steutner. Tief hing sein Kopf über dem Papier. Als spürte er ihren Blick, sah er auf und lächelte sie an. Sie erwiderte das Lächeln zaghaft. Sein Aussehen dauerte sie: Die Schlägerei am Mittwoch hatte ihn arg gebeutelt. Die linke Augenpartie war noch immer geschwollen, die Wange darunter von Blutergüssen entstellt. Die Wunde im Mundwinkel war dick verkrustet. Warum nur hatte er sich einmischen müssen und versucht, den jungen Kepler von diesem rauflustigen Mathias wegzureißen? Lina seufzte. Hätten sich die Streithansel doch die Köpfe eingeschlagen! Dann wäre wenigstens dem armen Steutner nichts passiert. Sie warf ihm scheu einen Handkuss zu. Er grinste, Egloff knurrte. Rasch griff sie nach der Leiter und trug sie zum Regal.
    »Das verstehe ich nicht«, brummte Breysig, kaum dass sie die oberste Sprosse erreicht und das erste Buch herausgezogen hatte. Neugierig wandte sie den Kopf und beobachtete von ihrem Posten das Geschehen. Der schwerfällige Schreiber schaute hilfesuchend zu Egloff. Es dauerte eine Zeitlang, bis sich der dürre Alte dazu bequemte, das Federkratzen auf dem rauhen Papier zu unterbrechen und den Kahlköpfigen ebenfalls anzusehen.
    »Was versteht Ihr nicht?«, fragte er unleidlich. In seinen langen Fingern rollte er die Feder hin und her, deutliches Zeichen, wie sehr ihn Breysig aufregte. Der Kahlköpfige aber tat, als bemerkte er das nicht, griff nach seinen Unterlagen und schlurfte zu Egloffs Pult. Lina schaute zu Steutner, der ihr abermals zuzwinkerte.
    »Das ist ja wohl die Höhe!« Egloffs Faust sauste donnernd aufs Pult nieder. Breysig duckte sich weg, als rechnete er mit einer Maulschelle.
    »Nicht Ihr«, raunzte Egloff, »diese läufige Hündin da oben auf der Leiter ist gemeint.« Wutentbrannt reckte er die Faust in Linas Richtung. »Was fällt dir ein? Putzen sollst du, nicht meinen Schreibern schöne Augen machen. Ich hätte mir gleich denken können, worauf das hinausläuft, wenn du deinen Feudel hier schwingst. Die Spatzen pfeifen es längst von den Dächern, dass du Steutner um den Finger gewickelt hast.«
    Vor Scham glühten Linas Wangen. Am liebsten hätte sie dem Alten den feuchten Lappen gegen den Schädel geschleudert.
    »Gemach, gemach, mein Bester«, meldete Steutner sich zu Wort. Er legte seine Feder in die Schale, rückte das Papier auf dem Pult zurecht und schlenderte betont langsam zu Egloff. Außer seinen Schritten war lediglich das Knistern der Holzscheite im Kachelofen zu hören. Lina meinte, die Luft anhalten zu müssen, um die Stille nicht zu stören. Breysig schwitzte aus allen Poren. Ungeschickt versuchte er, sich aus Egloffs Nähe davonzustehlen. Der Alte aber fasste ihn am Ärmel und zwang ihn, neben ihm auszuharren. Geradewegs schaute Egloff Steutner entgegen. Der schmunzelte siegesgewiss. Bang umklammerte Lina die Holme der Leiter, bis die Fingerknöchel weiß hervortraten.
    »Habt Ihr mir etwas zu sagen?« Dicht vor Egloff blieb Steutner stehen. Er war einen halben Kopf größer, aber genauso dürr wie der alte Schreiber. »Wenn es Euch stört, dass Lina und ich uns gut sind, dann sagt es nur freiheraus. Allerdings seid Ihr weder ihr Vater, noch habt Ihr mir etwas zu sagen. Wenn ich Euch daran erinnern darf«, er senkte die Stimme bedrohlich, »die verehrte Frau Grohnert hat Euch zwar angewiesen, während ihrer Abwesenheit für Ordnung im Kontor zu sorgen, das aber heißt nicht, dass Ihr mir oder jemand anderem aus dem Gesinde vorschreiben dürft, wem wir gut sind oder nicht. Davon abgesehen: Lina untersteht der Köchin, wie übrigens auch die zweite Magd. Frau Grohnert wird es wohl kaum gutheißen, wenn Ihr Euch in deren Bereich einmischt, von Hedwig selbst ganz zu schweigen.«
    Breysig entfuhr ein anerkennendes Grunzen. Der Dicke genoss es, wie der Ältere Steutners Worten wegen in sich zusammensackte. Doch mit einem Mal richtete er sich wieder auf und verzog das Gesicht zu einem

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