Das Bernsteinerbe
gehässigen Grinsen.
»Nehmt den Mund nicht zu voll, mein Lieber. Mit all den Blessuren im Gesicht macht Ihr gerade nicht den besten Eindruck. Vergesst nicht: Solange die verehrte Frau Grohnert nicht da ist, bin ich, wie Ihr richtig sagt, für das Kontor verantwortlich. Und da kann ich Raufbolde nun einmal schlecht dulden, gerade wenn wir uns in einer ausgesprochen schwierigen Lage befinden.«
Linas Angst um Steutner schwoll wieder an. Innerlich verfluchte sie Hedwig. Es war doch keine gute Idee gewesen, sie ins Kontor zu schicken. Nur weil die Köchin ihre Neugier nicht zügeln konnte, stand nun Steutners Existenz auf dem Spiel.
»Ihr wisst hoffentlich«, redete Egloff mit höhnischem Unterton weiter, »dass Ihr jetzt so schnell kein anderes Kontor finden werdet, das einen wie Euch aufnimmt. Euch ist gewiss klar, dass im gesamten Kneiphof, wenn nicht auch schon in der Altstadt und im Löbenicht, in den letzten Tagen keiner jemandem aus dem Singeknecht’schen Anwesen sonderlich wohlgesinnt ist. Das liegt übrigens nicht allein an Eurer Prügelei letzten Mittwoch. Leider haben die Grohnert-Damen auch selbst für diesen Unmut gesorgt.«
Lina wurde flau. Das bedeutete für sie ebenfalls Obacht geben. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. Sie sah sich bereits wieder in der armseligen Hütte in Tilsit hocken, den kleinen Karl auf dem Schoß. Verzweifelt schrie der Blondschopf vor Hunger, sie aber hatte nichts, was sie ihm geben konnte. Und Fritz wankte Abend für Abend betrunken zur Tür herein. Schniefend wischte sie die strohblonden Strähnen aus der Stirn und griff wieder nach dem Lappen, um das Regal zu wienern. Wenn Hedwig zufrieden mit ihrer Arbeit war, bestand zumindest ein Funken Hoffnung. Steutners Auflachen riss sie von neuem herum.
»Nur zu, mein Bester, nur zu«, spornte er zu ihrem Entsetzen Egloff an. »Es hilft dem Kontor ganz sicher, wenn Ihr mich heute noch vor die Tür setzt. Der gute Breysig – nichts für ungut, mein Lieber«, er tätschelte dem Dicken die Schulter, »wird Euch eine gute Stütze sein, die Geschäfte erfolgreich fortzuführen. Sagt mir nur, ob ich gleich gehen oder bis zum Abend warten soll. Dann kann ich zumindest noch die fehlerhafte Liste ausbessern, die da auf Eurem Pult liegt. Sieht mir fast so aus, als könnte ich Euch da helfen.«
Lina hielt den Atem an. Egloff würde ob dieser frechen Antwort gewiss keinen Moment zögern, Steutner die Tür zu weisen. Breysig, der nicht einmal die Anspielung auf seine Unzulänglichkeit begriffen hatte, buckelte indes erschrocken vor dem Alten. Doch der Dürre tat nichts dergleichen. Erstaunlich gelassen wandte er sich wieder dem Pult zu, fingerte seine Feder aus der Schale, tauchte sie ins Tintenfass und erklärte: »Schön. Ihr wisst also, was Ihr zu tun habt. Geht mit Breysig seine Listen durch und legt sie mir bis heute Abend vor, ohne Fehler natürlich. Morgen früh werden wir beide drüben im Lagerhaus am Hundegatt die Bestände überprüfen. Schrempf muss man sehr genau auf die Finger schauen, wenn die verehrte Frau Grohnert nicht da ist. Breysig wird dann wohl zwei, drei Stunden allein hier zurechtkommen, nicht wahr? Aber denkt bitte alle daran«, er hob die Stimme, »niemand darf zu früh von der längeren Abwesenheit der Grohnerts erfahren. Haben wir uns verstanden?«
Einmütig nickten die beiden anderen. Unwillkürlich tat Lina es ihnen nach. Sie konnte kaum glauben, wie rasch sich das Unheil verzogen hatte. Allein daran, dass Breysig und Steutner zum hinteren Pult gingen und Egloff sich wieder tief über seine eigenen Aufzeichnungen beugte, merkte sie, wie selbstverständlich den dreien diese Auseinandersetzungen waren. Steutner versäumte allerdings nicht, ihr noch ein verschwörerisches Zwinkern zu schenken, bevor er sich in die Zahlen vertiefte.
6
W eit kam Lina allerdings wieder nicht mit ihrer Putzerei. Gerade balancierte sie ein schweres Buch in der einen, wischte mit der anderen Hand und kämpfte gleichzeitig damit, das Gleichgewicht auf der Leiter zu halten, da wurde es in der Diele laut. Jemand hatte an der Eingangstür geklopft, und Milla eilte aus der Wohnstube nach unten, um die Tür zu öffnen, wie es ihre Aufgabe war. Kaum war das Quietschen des schweren Riegels verklungen, ertönte eine melodische Frauenstimme mit fremdartigem Akzent.
»Gott zum Gruße.« Lina hielt die Luft an. Sie und Steutner wechselten fragende Blicke, wandten sich schließlich zeitgleich der Tür zu. Tatsächlich stand die auffallend
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