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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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weiteren Räuspern mit dünner Stimme fest. »Sie ist …«
    »Nicht das noch!«, unterbrach ihn Marietta Leuwenhoeck sofort. »Sie ist also auch fort. Fast habe ich es schon befürchtet. Mir scheint, die beiden Damen rennen sehenden Auges ins offene Messer. Ihre ärgsten Feinde werden das zu schätzen wissen. Bestimmt ergreifen sie sogleich die Gelegenheit. Oh, ich Unglückselige!« Anklagend schlug sie sich die Faust vor die Brust. »Ich hätte meinem Gefühl vertrauen und gleich Freitag noch hierherkommen sollen.«
    »Bedaure, Verehrteste«, schaltete sich Steutner ein, »aber selbst am Freitag wärt Ihr schon zu spät dran gewesen.«
    Bei diesen Worten begann Egloff vorn am Pult hektisch Zeichen zu geben, ihn am Weiterreden zu hindern. Auch Breysig schloss sich dem an. Steutner gab nichts darauf.
    »Die verehrte Frau Grohnert ist mit ihrer Tochter zusammen bereits letzten Donnerstag aus dem Kneiphof aufgebrochen.«
    »Was?« Marietta fuhr herum. Lina meinte, die Welt stürze über ihr zusammen. Mit dem Ausplaudern des Geheimnisses hatte Steutner wohl das Fass zum Überlaufen gebracht. Auf der Stelle würde Egloff ihn feuern angesichts des Verrats, den er damit an den Grohnerts beging.
    Doch nichts dergleichen geschah. Egloff blieb stumm, Breysig beugte sich wieder über sein Pult.
    »Das ist nicht möglich«, murmelte Marietta. Wieder schüttelte sie den Kopf. Lina wagte nicht, sich einzumischen. Dabei lag ihr auf der Zunge, zu fragen, was die drei Herren angesichts ihres faszinierenden Auftretens völlig übersahen: warum in aller Welt diese Fremde so tat, als stünde sie auf Seiten der Grohnerts und all der Ärger, der den beiden drohte, könnte dank ihrer Hilfe vermieden werden. Wenn nicht gleich einer der drei Herren aus seiner Lähmung erwachte, sollte sie es vielleicht selbst in Angriff nehmen und sich zu Wort melden.
    Mit einem Ruck hob Marietta den Kopf und sprudelte hastig los: »Donnerstag? Aber das heißt ja, nein, das sagt eindeutig, genau, so muss es gewesen sein!«
    In all der Aufregung fiel ihr das Sprechen in der fremden Sprache schwer, sie verschluckte so manche Silbe oder betonte ganze Wörter falsch. Das wiederum machte es nicht nur für Lina fast unmöglich, sie zu verstehen. Auch die Schreiber schauten angestrengt zu ihr hin.
    Endlich klatschte sie in die Hände und verkündete unerwartet laut und deutlich: »Vielen Dank, meine Herren. Jetzt weiß ich zumindest, warum Helmbrecht nicht mehr da ist. Freitag früh muss er schon davon erfahren haben, dass die Grohnerts fort sind. Dann ist er ihnen wohl gleich nachgeritten. Oh, wenn wir nur wüssten, wohin!«
    »Das zu beantworten, ist nicht schwer.« Der langsame Breysig fasste sich erstaunlicherweise als Erster. Egloff wollte ihn zwar am Reden hindern, auch Steutner gab ihm Zeichen, doch wie so oft begriff der Kahlköpfige gar nichts. »Natürlich sind die Damen nicht allein …«
    Weiter kam er nicht, weil Steutner dazwischenfuhr. »Jetzt, da Ihr wisst, dass die Damen des Hauses nicht da sind, könnt Ihr uns vielleicht verraten, warum Ihr sie überhaupt sucht. Mein verehrter Kollege Egloff«, beflissen wies er auf den Älteren, »und ich vertreten sie derweil. Vielleicht können wir Euch also zu Diensten sein.«
    »Zumindest werden wir es versuchen«, ergänzte Egloff, verärgert, dass Steutner wieder einmal schneller gewesen war als er.
    »Nun, eigentlich …« Marietta zögerte. »Also, eigentlich dachte ich, die verehrte Frau Grohnert könnte mir sagen, wo ich Helmbrecht finde. Seit Freitag früh ist er, wie ich schon sagte, spurlos verschwunden. Und sein Pferd übrigens auch.«
    Den letzten Satz schob sie in trotzigem Ton nach, als erregte besonders dies ihren Unmut. Die Schreiber schwiegen. Lina musterte einen nach dem anderen. Egloff stand reglos. Breysig schaute zu Boden. Nicht einmal Steutner zwinkerte ihr zu. Sie schürzte die Lippen. Entschlossen trat sie einen Schritt vor. Darin lag ihr Fehler. Egloff wurde ihrer dadurch wieder gewahr. All die Schmach, die er angesichts seines unglücklichen Verhaltens seit Mariettas Auftauchen hatte einstecken müssen, entlud sich plötzlich auf ihr.
    »Raus!« Sein rechter Zeigefinger schnellte nach vorn. »Du hast hier gar nichts mehr verloren!«
    Steil stand die Zornesfalte zwischen seinen Augenbrauen, die hellen Augen waren weit aufgerissen. Vor Schreck ließ Lina den Lappen in den Eimer fallen. Das schmutzige Wasser schwappte heraus, unglücklicherweise auf Egloffs Stiefel. Das erregte noch

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