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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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gemacht.«
    »Steinackerin? Wer ist das?«, erklang Millas helles Stimmchen, doch zu Linas Verwunderung ergriff Hedwig die Gelegenheit nicht, um über die Fremde herzuziehen.
    »Wie gut, dass du in Frühlingsstimmung bist«, wandte sie sich stattdessen an Lina, streifte die vom Teig klebrigen Finger an der weißen Schürze ab und rückte die Haube auf dem dünnen grauen Haar zurecht. »Dann macht es dir gewiss nichts aus, trotz des Regens einige Besorgungen zu erledigen. Mir ist nämlich, als hätten auch die Krämer ein Frühlingserwachen gespürt und ihre Buden an der Brücke geöffnet. Käse und Butter können wir gut gebrauchen. Vielleicht haben sich auch ein paar Fischer in ihre Boote gewagt und die Angeln ausgeworfen. Das Eis auf dem Pregel dürfte so weit geschmolzen sein, dass es sich lohnt. Nach all den kargen Tagen mit Gerstenbrei sollten wir uns wohl wieder einmal etwas gönnen. Die verehrte Frau Grohnert wird es uns nicht übelnehmen, zumal wir selbst am gestrigen Sonntag nur Suppe gelöffelt haben.«
    »Steutner hat auch schon gesagt, dass es keinen Grund gibt, so knauserig mit dem Essen …« Weiter kam Milla nicht. Schon brauste Hedwig abermals auf. »Wie kommst du dazu, auf diesen langen Tölpel zu hören? Dem kommt es gar nicht zu, in mein Wirtschaften hineinzureden! Es langt gerade, dass der freche Bursche dem ehrwürdigen Egloff im Kontor alles erklären will.« Über den letzten Worten wurde ihre Stimme bereits milder. Wie so oft, wenn sie die dreizehnjährige Magd schimpfte, tat es ihr alsbald leid. Die traurigen braunen Augen erbarmten sie. Auch jetzt glitzerten wieder Tränen darin.
    »Gut«, erklärte Lina und strich sich das widerborstige blonde Haar aus dem erhitzten Sommersprossengesicht. »Ich gehe gleich los. Die Fischweiber haben bestimmt nicht allzu viel anzubieten. Je früher man ihre Körbe inspiziert, desto eher wird man was finden, für das es sich zu zahlen lohnt.«
    »Such trotz allem nicht zu lang herum. Bis Mittag soll der Fisch noch aufs Feuer kommen. Die Herren im Kontor wollen pünktlich essen. Zumindest die beiden«, Hedwig warf ihr einen vielsagenden Blick zu, »die dort brav an ihren Pulten stehen. Schau, ob du den nichtsnutzigen Steutner in den Gassen entdeckst. Wird höchste Zeit, dass er vom Hundegatt zurückkommt. Schließlich wird er dort mit dem alten Schrempf nicht alle Erbsen einzeln nachgezählt haben.«
    Sie zwinkerte Lina zu. Die begriff sofort, was die Köchin eigentlich im Sinn hatte: Sie wollte wissen, was im Lagerhaus vor sich ging. Dafür erlaubte sie ihr sogar ein kurzes Stelldichein mit dem Liebsten. Lina nickte eifrig, drückte Milla den Rührlöffel in die Hand und rannte zum Haken, um ihren Umhang zu holen. Sie bückte sich nach den Stiefeln, die neben der Treppe standen, und stopfte hastig eine Lage frischen Strohs aus der bereitstehenden Kiste hinein. Für das nasse Wetter bestens gerüstet, eilte sie zur Tür.
    »Geh auch noch beim Fettkrämer vorbei«, rief Hedwig ihr nach. »Schmalz und Käse könnten wir ebenfalls gebrauchen. Und vergiss nicht, Geld mitzunehmen. Deine schönen Augen werden zum Bezahlen nicht reichen.«
    Umständlich kramte sie einige Münzen aus ihrer Schürzentasche. Lina konnte es kaum abwarten, bis sie mit dem Zählen fertig war. Frohgemut trat sie zur Tür hinaus. Gleich spürte sie die kalte Feuchtigkeit auf dem Gesicht. Der unablässige Regen spannte einen dichten, grauen Vorhang durch die Straßen. Flink zog Lina den Umhang fest um Kopf und Schultern, setzte vorsichtig ihre Schritte. Die Steine auf dem Beischlag waren glitschig. Schlimmer wurde es noch unten auf dem Straßenpflaster. Binnen zweier Tage hatte das Nass Schnee und Eis weggewaschen, zurückgeblieben war schmieriger Matsch. Heimtückisch steckte er in den Ritzen zwischen den Pflastersteinen und verhinderte den Abfluss des Regenwassers. Es war, als stünde die gesamte Langgasse unter einer riesigen Pfütze. Schon nach einer kurzen Strecke spürte Lina, wie das Wasser in ihre Schuhe rann und das Stroh durchnässte. Bald gab es bei jedem Schritt ein quietschendes Geräusch. Ihre Zehen scheuerten am feuchten Leder.
    Trotz des unwirtlichen Wetters erledigten viele Hausfrauen und Mägde um die günstige Vormittagsstunde zwischen zweitem Imbiss und Mittag ihre Einkäufe. Der Trubel auf der Langgasse und der angrenzenden Krämerbrücke in die Altstadt hinüber erinnerte an die ersten Frühlingstage, wenn alle nach den langen Wochen bitterer Kälte aus ihren Löchern

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