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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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alles klar. Entschlossen zog sie Lina in die Diele, riss ihr den Umhang herunter und starrte auf das Kind auf ihrem Arm. »Gott im Himmel, erbarme dich unser, du hast ein Kind!«
    Neugierig schlich auch Milla heran. »Wo hast du das her?«, fragte sie.
    »Gefunden hat sie es. Statt einem Fisch hat eins der Marktweiber ihr das Kind angedreht«, knurrte Hedwig. Dann aber siegte ihr weiches Herz. Behutsam nahm sie Lina den Kleinen vom Arm.
    »Ganz durchgefroren ist er. Los, Milla, glotz nicht, sondern schau nach dem Feuer. Es muss kräftiger werden. Und dann holst du mir eine dicke Decke, nein, besser gleich zwei, oben aus der Truhe im Schlafgemach. Die verehrte Frau Grohnert wird nichts dagegen haben. Der Kleine hier muss erst einmal warm werden. Nicht dass er uns erfriert.«
    Sie presste Karl gegen ihren dicken Busen, wiegte ihn sogleich. Keinen Mucks ließ er verlauten. Er schien zu spüren, wie gut sie es mit ihm meinte. Lina wischte sich Tränen aus dem Gesicht. Noch ehe sie sich bedanken konnte, wurde es laut vor der Eingangstür. Steutner und die Wirtin! Sie hatte versäumt, Hedwig zu warnen. Schon prallte der schwere Klopfer auf das Eichenholz.
    »Ist ja schon gut«, brummte Hedwig. »Mach auf, Lina.«
    Flugs schlurfte sie mit dem Kind zum Herdfeuer, während Lina zögerlich öffnete. Steutner verdrehte die Augen. Das sagte alles. Die Wirtin aus dem Grünen Baum schob sich bereits ungefragt in die Diele, erblickte Hedwigs gedrungene Gestalt vor dem Feuer und stürmte auf sie zu.
    »Gute Frau, was sagt Ihr dazu? Ein Kind schleppt Euch die Lina an. Dieses Weibsbild! Ich habe immer schon gewusst, mit der kommt nur Ärger ins Haus. Einige Jahre habe ich es still mit angesehen, mich auf meine Christenpflicht besonnen. Dann aber war es genug. Ach, was verfluche ich den Tag, da ich das freche Gör in den Kneiphof geholt habe. Und jetzt macht sie der armen Frau Grohnert diese Schande! Ich muss die Gnädige sofort sprechen und mit ihr beratschlagen, wie es weitergehen soll. Ruft sie her, ich bleibe solange am Feuer. Mir ist schrecklich kalt.«
    Neugierig spähte sie in den Topf mit Gerstenbrei, der über der Flamme hing. Dann wanderte ihr Blick weiter über das Bord mit den blank gewienerten Töpfen und Pfannen, vorbei an dem Haken mit dem unbenutzten Kochgeschirr hinüber zum Tisch, wo sich der Brotteig unter einem Tuch versteckte. Nirgendwo standen Schüsseln mit weiteren Zutaten oder Kisten mit Vorräten. Auch ein Schinken fehlte im Rauchabzug, von einem Tontopf mit Butter und Käse ganz zu schweigen. Aus ihrer Zeit im Grünen Baum kannte Lina die Wirtin gut. Sie musste ihr Gesicht nicht sehen, um zu ahnen, was sich gerade in ihrem Kopf abspielte. Die Wirtin begriff, dass der Topf mit Gerstenbrei über dem Herdfeuer nur auf zwei Möglichkeiten hinweisen konnte: Entweder stand die Herrschaft aus dem Singeknecht’schen Kontor kurz vor dem sicheren Ruin und sparte deshalb am Essen – oder die Grohnert-Damen waren gar nicht da, das Gesinde ganz allein und deshalb zur Bescheidenheit aufgerufen.
    Das Schweigen Steutners, der gleich an der Eingangstür stehen geblieben war, Hedwigs schuldbewusster Blick und Millas Entsetzen sprachen Bände. Auch Lina fühlte sich nicht imstande, eine rettende Erklärung abzugeben.
    Als sich die Tür zum Kontor öffnete und Egloff heraustrat, um nach dem Rechten zu sehen, war die Wirtin bereits voll im Bilde. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und sah mit einem überheblichen Lächeln von einem zum anderen.
    »Dann stimmt es also«, wiederholte sie die Worte, die schon Marietta Leuwenhoeck letzte Woche gebraucht hatte. »Seit Tagen schon wird darüber getuschelt. Niemand jedoch wusste Genaueres. Farenheid aber hat wohl recht. Mit eigenen Augen will er gesehen haben, wie die beiden Grohnert-Damen letztens zu Tromnau und Hohoff auf die Wagen gestiegen sind. Bei früher Morgendämmerung muss das gewesen sein, ohne Fackeln und Laternen, damit es keiner merkt, natürlich weit abseits vom Kneiphof, drüben im Löbenicht. Jetzt ist mir so einiges klar. Wie gut, dass ich hergekommen bin und es selbst herausgefunden habe. Ich hätte es sonst nicht glauben mögen. Klammheimlich haben die beiden Frauen die Stadt verlassen. Nicht zu fassen! Wer so heimlich tut, der hat etwas zu verbergen. Wer hätte das von der guten Frau Grohnert gedacht? Letztens noch habe ich ihr beigestanden, als der arme Helmbrecht bei uns im Grünen Baum umgefallen ist. Wie hat sie sich immer bemüht, uns alle glauben zu

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