Das Bernsteinerbe
Ende des Westflügels herrschte rege Betriebsamkeit. Wie all die Tage zuvor machte sich Magdalena an der Seite von Caspar Pantzer über verschiedenen Töpfen, Tiegeln und Destilliergefäßen zu schaffen. Der vertraute Geruch nach getrockneten Kräutern und Ölen, gepaart mit dem scharfen Duft von fremdländischen Gewürzen und Seifen, verwandelte den Raum in ein kleines Paradies. Die letzte Woche hatte Carlotta nahezu ausschließlich wie eine Gefangene in der engen Krankenstube verbracht. Mit einem Mal merkte sie, wie sehr sie diese Gerüche und das Hantieren mit den verschiedensten Utensilien vermisst hatte.
Adelaide ging sofort zum Tisch und machte Anstalten, die Arbeit an einer der Destillierapparaturen aufzunehmen. Caspar Pantzer nickte ihr zu, griff sich eine Schale, auf der Carlotta kleine, schwarze Körner entdeckte, und trat zu einem Mikroskop. Es herrschte eine beredte Stille. Die Mutter gab zwei verschiedene Öle in eine längliche Phiole und schüttelte das Gefäß vorsichtig, um die zähflüssigen Substanzen zu vermengen. Gemeinsam fertigten sie eine genaue Niederschrift, wie Magdalenas Bernsteinessenz herzustellen war. Das Nachmischen der fünfzigjährigen Wundersalbe, das Pantzer mit Christoph bereits in seinem Löbenichter Laboratorium gelungen war, wurde ebenfalls noch einmal schriftlich festgehalten. Der Frauenburger Kaufmann Siegfried Hartung sowie eine Nonne des ehrwürdigen Spitals zum Heiligen Geist hatten sich zur Verfügung gestellt, das Procedere nach bestem Gewissen zu bezeugen.
»Bald ist es geschafft, Liebes!«, rief Magdalena Carlotta vergnügt entgegen. Sie legte die Phiole mit den Ölen beiseite, wischte die Hände sorgfältig an einem Leinentuch ab und kam um den großen Tisch herum. »Heute Nachmittag wird der Stadtphysicus aus Frauenburg kommen und die Rezeptur für meine bewährte Bernsteinessenz prüfen. Ist das nicht wundervoll?«
»Sobald er Unterschrift und Siegel unter das Protokoll gesetzt hat, werde ich persönlich nach Königsberg reisen und bei dem hochgeschätzten Doktor Ludwig Kepler vorsprechen«, ergänzte Hartung. Umständlich erhob er sich von dem Sessel, den man ihm am Kopfende des Tresens zurechtgerückt hatte. »Ich bin mir sicher: Noch vor Weihnachten werdet Ihr mit Eurer Mutter zusammen in Eure Heimatstadt zurückkehren. Der Vorwurf der Scharlatanerie oder gar noch Schlimmerem ist nicht mehr zu halten. Kepler wird nichts anderes übrigbleiben, als Euch beizustehen. Die Königsberger Bürgerschaft, allen voran die Kaufmannszünfte der drei Städte am Pregel, werden sich öffentlich bei Euch entschuldigen müssen.«
Er strahlte über das ganze Gesicht. Das schüttere weiße Haar stand in alle Richtungen ab. Die dünne ältere Nonne, die als zweite Zeugin zugegen war, nickte zustimmend und beeilte sich hinzuzufügen: »Unglaublich, eine so wirksame und streng an Paracelsus’ alte Überlieferungen gehaltene Mischung auch nur annähernd mit schädlichen Einflüssen in Verbindung zu bringen.«
»Streng an Paracelsus’ Anweisung hat meine Mutter sich dieses Mal eben nicht gehalten«, warf Carlotta ein. »Die Aufbereitung des Bernsteins mit Essig statt mit Weingeist geht auf einen anderen Gelehrten zurück, wie wir inzwischen wissen. Ach, Mutter«, wandte sie sich an Magdalena, »warum hast du uns eigentlich so lange verschwiegen, dass du noch eine zweite Rezeptur zu verwenden pflegst? Du hättest uns viele Umstände erspart.«
»Aber Liebes«, verteidigte sich Magdalena, »ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, dass du das nicht in Erwägung gezogen hast. Immerhin studierst du doch all meine Aufzeichnungen stets so gründlich. Du hättest nur genauer darin lesen müssen, dann wäre dir auch diese zweite nach Johann Schröder aufgefallen. Er empfiehlt, statt Spiritus vini Essig zu verwenden, um speziell das Herz des Patienten zu stärken. Das schien mir im Falle von Gerke der entscheidende Punkt.«
»So, wie Eure verehrte Frau Mutter mir das Ableben des armen Gerke beschrieben hat, vermute ich die schädlichen Einflüsse bei seinem Tod ohnehin ganz woanders«, warf die Nonne ungefragt dazwischen.
»Das wird sich wohl nicht mehr beweisen lassen«, beeilte sich Caspar Pantzer anzumerken. »Wir sollten zufrieden sein, wenn wir die Ehre der geschätzten Frau Grohnert wiederherstellen. Im Gegenzug neue Vermutungen oder gar üble Verdächtigungen auszusprechen, wird der Sache nur schaden.«
Dankbar lächelte Magdalena ihm zu. »In ihrem großen Schmerz, den
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