Das Bernsteinerbe
besinnungslos danieder. Eure verehrte Frau Mutter schreibt mir, ob ich weiß, wo Ihr Euch aufhaltet. Ohne Euer Einverständnis will ich ihr nicht antworten. Überlegt Euch, was Ihr tut. Es sieht wohl nicht gut aus für Euren Vater.«
»Nach allem, was er mir an den Kopf geworfen hat, soll ich jetzt …« Christoph war außerstande, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, den Satz zu beenden. »Wieso schreibt meine Mutter ausgerechnet an Euch? Wer hat ihr verraten, dass Pantzer und ich hier in Frauenburg …«
»Das spielt doch jetzt keine Rolle mehr«, versuchte Pantzer, den Freund zu beschwichtigen. »Wahrscheinlich schreibt sie an alle, die sie außerhalb Königsbergs kennt. Viel wichtiger als das aber ist, dass du so schnell wie möglich nach Hause reitest. Vielleicht hast du Glück und triffst deinen Vater noch lebend an. Glaub mir, nichts ist schlimmer, als ein Leben lang dieses Gefühl zu ertragen, im entscheidenden Moment zu spät gewesen zu sein.«
»Da habt Ihr wohl recht«, ertönte eine Stimme von der Tür her. Erstaunt fuhren alle herum. Mathias stand dort, lehnte sich erschöpft gegen den Türrahmen. Die locker um ihn herumschlackernde Kleidung verriet, wie stark er an Gewicht verloren hatte. Umso entschlossener aber war der Ausdruck in seinen dunkel umschatteten Augen. Nachdrücklich sah er auf Christoph, bemühte sich gar um ein aufmunterndes Lächeln.
»Glaubt mir, Kepler, am Ende zählt nur, dass Ihr versucht habt, ihm rechtzeitig beizustehen.«
»Ich komme mit«, warf Carlotta hastig ein. »Gewiss ist es der gleiche Anfall, den dein Vater letztens schon in Heydrichs Apotheke …«
»Ja, du hast recht«, stimmte Christoph zu. »Wir beide sollten so schnell als möglich aufbrechen. Besorgt uns bitte zwei Pferde«, wandte er sich an Helmbrecht, dann fasste er Carlotta an der Hand. »Pack deine Wundarzttasche, Liebste. Es ist wieder einmal Gelegenheit, die Wirksamkeit deiner Tinkturen zu beweisen.«
Carlotta eilte zum Tisch und sortierte bereits die ersten Phiolen.
»Am besten nehme ich die Essenz, die mit Essig aufbereitet ist. Wenn es wieder ein Herzanfall ist, wird es sinnvoll sein, deinem Vater gleich diese Tropfen zu geben.«
»Das ist unmöglich«, schaltete sich Magdalena ein. Überrascht fuhren beide zu ihr herum. Carlotta holte Luft, um ihren Entschluss für die neue Rezeptur zu verteidigen, da redete die Mutter bereits weiter: »Es ist ausgeschlossen, dass ihr beide mutterseelenallein nach Königsberg zurückkehrt.«
16
D er Ritt von Frauenburg nach Königsberg war eine einzige Tortur. Zwei volle Tage verbrachten Carlotta und Christoph unter Begleitung von Siegfried Hartung im Sattel. Ungeübt, wie Carlotta beim Reiten war, schmerzten ihr bald alle Glieder. Auch der beleibte Hartung fühlte sich auf dem stämmigen Ross sichtlich unwohl.
Lediglich Christoph machte es nichts aus, tagelang auf einem Pferd zu sitzen. Unerbittlich trieb er sie beide an. Jede Stunde, die sie länger brauchten, konnte bedeuten, nicht mehr rechtzeitig bei seinem Vater einzutreffen. Das zehrte an seinen Nerven. Carlotta mühte sich, ihre Stute in Trab zu halten, um nicht den Anschluss zu verlieren.
Die Herren hatten sie in die Mitte genommen. Christoph gab das Tempo vor, dann folgte Carlotta, und Hartung bildete den Abschluss. Froh, den Geliebten stets gut im Blick zu haben, sah sie nach vorn.
Niemand von ihnen sprach ein Wort. Das Schweigen machte Carlotta zu schaffen. Je näher sie ihrer Heimatstadt am Pregel kamen, umso schlimmer wurde es für sie. Mit einem Mal fragte sie sich, ob es eine gute Entscheidung gewesen war, mit Christoph mitzureiten. Noch schwelten die schrecklichen Unterstellungen gegen die Mutter und sie in der Bürgerschaft. Hartung begleitete sie beide zwar nicht allein des Anstands wegen, sondern trug auch die Papiere über die Rezepturen aus Frauenburg bei sich. Trotzdem war ungewiss, wie darauf reagiert werden würde. Vorerst aber besaß die Rettung des alten Keplers oberste Dringlichkeit. Inständig hoffte sie, es handelte sich wirklich um einen ähnlichen Herzanfall wie damals in Heydrichs Apotheke. Sie tastete unter ihrer Heuke nach dem Bernstein. Schmerzlich wurde ihr wieder sein Fehlen bewusst. Sie musste es ohne den Beistand schaffen. Sie hatte Christoph an ihrer Seite. Das sollte genügen. Schweren Herzens hob sie den Blick.
Wenigstens war das schöne Winterwetter seit ihrem Aufbruch aus Frauenburg stabil geblieben. Strahlend schien die Wintersonne vom
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