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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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und abtrocknen, bevor er auch noch zu Boden fällt?« Verblüfft nickte Lina und tat, wie ihr geheißen.
    Die beiden arbeiteten nun schweigend nebeneinander. Carlotta wusch, und Lina trocknete ab, bis der Stapel schmutzigen Geschirrs merklich zusammengeschrumpft war. Unterdessen erloschen nach und nach die kleinen Talglichter auf dem Wandbord. Die letzten, die noch brannten, rußten heftig. Der Geruch biss in der Nase. Lina bückte sich zum Herdfeuer und schürte es mit dem Haken zusammen, damit wenigstens diese Lichtquelle noch nicht versiegte.
    Als sie aufsah, erschrak sie. Von der Seite zeichnete sich Carlottas Profil ungewöhnlich scharf ab. Die sonst so kecke Himmelfahrtsnase erschien seltsam spitz. Starr schauten die blauen Augen auf das noch zu säubernde Geschirr. Die fahlen Lippen waren fest aufeinandergebissen.
    »Geht es dir gut?«, fragte Lina vorsichtig, sobald sie den nächsten Becher zum Abtrocknen in Händen hielt. »Ist was mit deinem Medicus?«
    »Was soll mit dem sein?«, brauste Carlotta auf und warf die Bürste ins Wasser. Ihre Augen funkelten, als sie sich zu Lina umdrehte. »Steck deine Nase nicht in Angelegenheiten, die dich nichts angehen.«
    »Entschuldigung«, murmelte Lina. Beim weiteren Abwasch hielt sie den Kopf gesenkt, wagte es nicht mehr, Carlotta anzuschauen. Wenigstens beruhigte sich Carlotta rasch wieder so weit, ihre Arbeit fortzusetzen. Lina fand die Vorstellung plötzlich erschreckend, in der schummrigen, schwülen Küche allein zu bleiben.
    Ein leises Wimmern hieß sie aufhorchen. Endlich sah sie Carlotta doch wieder direkt an. Sie hatte sich nicht getäuscht: Im schwachen Licht der letzten Talglampen erspähte sie einzelne Tränen auf den schmalen Wangen. Sie überlegte nicht lang, warf das Leintuch beiseite und nahm Carlotta in die Arme, drückte sie gegen ihren drallen Busen. Carlotta wehrte sich nicht. Dafür wurde ihr Weinen heftiger. »Scht, scht«, raunte Lina und wiegte sie wie ein Kind hin und her. Dankbar schmiegte sich die zierliche Kaufmannstochter gegen ihren üppigen Leib.
    Die andere so nah bei sich zu spüren, versetzte Lina einen Stich in der Herzgegend, wie sie ihn sonst nur fühlte, wenn sie an jemand ganz Bestimmten dachte. Einige Wimpernschläge lang sah sie sich weit weg in einer finsteren, feuchten Hütte auf dem Boden kauern, in ihren Armen ein winziges Bündel Mensch mit ebensolchen blauen Augen und einem verzweifelt aufgerissenen kleinen Mund. Was Steutner dazu sagen würde? Sie kämpfte nun ebenfalls mit den Tränen, schluckte, seufzte und räusperte sich, bis der dicke Kloß aus ihrem Hals verschwunden war.
    »Wird schon alles wieder gut«, flüsterte sie Carlotta ins Ohr und war sich dabei nicht sicher, wem von ihnen beiden sie mehr Mut zusprechen wollte.
    »Hast recht!«, erwiderte Carlotta und befreite sich aus der Umarmung. Verschämt wischte sie mit den Handrücken die Wangen trocken und strich die Finger am Hemd ab. »Wie lächerlich ich mich aufführe! Dabei ist gar nichts Schlimmes geschehen.«
    Carlotta mied Linas Blick. Schon stand sie abermals vor dem Waschtrog und betrachtete grübelnd das restliche Geschirr. Auf dem Wasser schwamm eine ölige Pfütze. Längst war es schmutzig und kalt. Wieder war das Schlagen der Uhr aus der Wohnstube zu vernehmen. Inzwischen war es elf Uhr in der Nacht.
    »Vielleicht ist es genau das«, griff Lina das Gesagte noch einmal auf und holte mit dem Kessel frisches Wasser aus dem Fass neben der Tür. Das Feuer musste zu ihrem Leidwesen von neuem angefacht werden, damit es hoch genug brannte.
    »Was?« Carlotta klang ungeduldig.
    »Genau das, was ich gesagt habe: Es ist wohl nichts zwischen Christoph und dir passiert, weder etwas Schlimmes noch sonst etwas.« Lina bückte sich rasch, eine zweite Handvoll Salz in das abgebrannte Herdfeuer zu streuen. Als sie sich wieder aufrichtete, musste sie von der Anstrengung schnaufen. Die Wangen glühten, Schweiß trat ihr auf die Stirn. Damit das Wasser im Kessel schneller kochte, hängte sie ihn so tief wie möglich über die gemauerte Herdstelle.
    »Und genau darin liegt das Problem«, setzte sie atemlos nach, sobald sie Carlottas fragenden Blick bemerkte. »Du hast gesagt, du willst den klugen Medicus heiraten. Er ist nicht nur eine gute Partie, sondern hilft dir auch bei deinen Plänen. Zudem liebst du ihn. Aber so viel das alles ist, es reicht einfach nicht, nur die Absicht zu haben, ihn zu heiraten. Du musst den Pakt mit ihm auch besiegeln. Dazu muss etwas zwischen

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