Das Bernsteinerbe
mit dem Urin? Der Nachttopf steht noch unter dem Bett«, hielt Dorothea sie ein weiteres Mal von der Untersuchung ab. »Wollt Ihr den nicht genauer anschauen?«
»Das entscheide ich später. Zunächst möchte ich andere Dinge klären.« Gerke stöhnte von neuem, kniff die Augen zusammen und machte Anstalten, sich wieder zur Seite einzurollen. Behutsam, aber bestimmt hielt sie ihn an der Schulter zurück, zwang ihn sanft, sich wieder flach auszustrecken. Für eine Weile ruhten ihre Hände knapp unter seinem Brustbein. Langsam wurde sein Atem gleichmäßiger. Da erst begann sie im weicheren Teil des Leibes ihr eigentliches Werk.
Während sie Gerkes Bauch Zoll für Zoll abtastete, nach Verhärtungen suchte, Verkrampfungen in seinen Gedärmen nachfuhr und gleichzeitig mit einem Ohr darauf horchte, welche Laute er dazu ausstieß, gab sie seiner Gemahlin insgeheim recht: Innere Erkrankungen aufzuspüren oder gar zu kurieren, war nicht ihre Aufgabe. Sie war gelernte Wundärztin. Ihr Metier waren zerschossene Gliedmaßen, blutende Stichwunden, ausgerenkte Knochen oder verfaulte Zähne. Gelegentlich kamen das Entfernen von Steinen, Hebammendienste, Hautausschläge oder die Behandlung von Durchfall und Erbrechen hinzu. Bis zum Ende des Großen Krieges hatte sie nichts anderes getan.
»Hoffentlich wisst Ihr, was Ihr da tut.« Als hätte sie Magdalenas Gedanken gelesen, meldete sich Dorothea abermals zu Wort. »Nicht auszudenken, wenn Ihr meinen Gemahl mit dieser Abtasterei zusätzlich quält. Selbst wenn Ihr einmal eine berühmte Wundärztin gewesen seid, so ist das doch lange her. Seit dem Großen Krieg sind schließlich gut und gerne vierzehn Jahre vergangen. Seither werdet Ihr höchstens kleinere Alltagswunden versorgt haben. Wie leicht aber vergisst man Dinge, mit denen man nichts mehr zu tun hat! Seid Ihr wahnsinnig? Drückt nicht so fest!«, unterbrach sie sich, sobald sie sah, wie sich ihr Gemahl unter Magdalenas Berührung krümmte.
»Wollt Ihr wissen, was mit ihm ist, oder nicht?« Erschöpft richtete Magdalena sich auf, wischte die Stirn und presste sich die Hände in den schmerzenden Rücken. »Seid bitte ruhig, solange ich ihn untersuche.«
Nach einer kleinen Pause setzte sie das Abtasten des Kaufmanns fort. Als sie wieder auf eine ihm offensichtlich unangenehme Stelle gestoßen war, schlug Dorothea entsetzt die Hände vor den Mund, sagte aber zunächst nichts. Doch dann konnte sie sich nicht mehr zurückhalten.
»Mir ist schleierhaft, wieso mein Gemahl ausgerechnet Euch dieser Bernsteinessenz wegen aufgesucht hat. Die Königsberger Apotheker bieten sie seit Generationen an. Warum sollte Eure besser sein? Es kann doch nicht sein, dass er die Geschichte mit der angeblichen Wunderheilung des schwedischen Hauptmanns damals in Thorn für bare Münze genommen hat. Die Geschichte war übrigens schneller hier bei uns als Ihr selbst. Dabei hat mein Gemahl Euch anfangs nicht ausstehen können. Immerhin habt Ihr uns das prächtige Haus Eures verstorbenen Onkels quasi vor der Nase weggeschnappt. Wärt Ihr nur wenige Wochen später im Kneiphof aufgetaucht, wohnten jetzt wir drüben in der Langgasse im Haus Eures Ahns. So aber habt Ihr gerade noch rechtzeitig die Frist mit dem Erbe eingehalten. Wer weiß, ob das alles wirklich mit rechten Dingen zugegangen ist.«
»So geht das nicht«, unterbrach Magdalena abermals das Abtasten. »Bitte lasst mich allein mit Eurem Gemahl. Ich muss mein Denken ganz darauf richten, seinen Leib zu untersuchen. Jede noch so kleine Regung um mich herum stört mich.«
»Seid Ihr von allen guten Geistern verlassen?«, zeterte Dorothea. »Allein wollt Ihr mit ihm sein? Nicht mit mir! So leicht mache ich es Euch nicht. Ich bleibe hier und schaue Euch ganz genau auf die Finger. Mit eigenen Augen will ich sehen, wie Ihr Euer Hexenwerk zu Ende bringt.«
»Vergesst nicht: Ihr braucht meine Hilfe. In den nächsten Stunden dringt kein anderer Medicus zu Euch durch. Wenn Ihr also wollt, dass Eurem Gemahl geholfen wird, dann lasst mich meine Arbeit tun.«
»So wie Eurem Gemahl, damals kurz nach Eurer Ankunft in Königsberg?« Starr schaute Dorothea sie an und verzog aufreizend langsam den schön geschwungenen Mund zu einem bösen Lächeln. »Dann ist es wohl besser, ich fange gleich an zu beten. Gott, der Allmächtige, wird meinem Gemahl hoffentlich gnädiger sein als dem Euren. Täusche ich mich, oder habt Ihr damals hilflos mit ansehen müssen, wie Euer Gatte elendiglich verreckt ist? Über Tage muss
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