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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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sich das hingezogen haben. Weder Eure Bernsteinessenz noch sonst eines Eurer Wundermittel hat etwas ausrichten können. Auch keine Eurer Wundersalben oder Rezepturen, die Ihr für teures Geld an die Apotheker verkauft, hat etwas genutzt. Das muss Euch so tief getroffen haben, dass Ihr seither keinen Patienten mehr behandelt, habe ich recht?«
    »Das reicht«, war alles, was Magdalena herausbrachte. Sie musste raus, fort von dieser Frau, weg aus diesem stickigen Raum. Sie trat zur Truhe, raffte ihre Sachen zusammen und griff mit zitternden Händen nach der Witwenschnebbe. Mitten in der Bewegung ließ ein grässlicher Aufschrei vom Bett her sie innehalten. Sie fuhr herum und sah, wie sich der völlig abgemagerte Leib wieder seitwärts zusammenzog. Einem hilflosen Wurm gleich krümmte und wand sich Gerke in dem viel zu großen Bett. Verwirrt stand Dorothea daneben, starrte mit einem Blick, der zwischen Ekel und Schrecken schwankte, auf ihren Gemahl.
    Abrupt stürzte sie zu Magdalena, rutschte das letzte Stück gar auf den Knien zu ihr. Händeringend flehte sie: »Bitte bleibt! Geht um Gottes willen nicht weg! Vergesst alles, was ich gesagt habe, und steht ihm bei! Ihr seid die Einzige, die ihm helfen kann.«
    Die großen, kräftigen Arme umklammerten Magdalenas Hüften. Schon meinte sie, ebenfalls zu Boden zu stürzen, so fest zerrte Dorothea an ihr.
    »Lasst mich los«, bat sie mit kraftloser Stimme und war überrascht, wie schnell Dorothea nachgab. Hastig legte sie die Schnebbe auf die Truhe und eilte zum Bett zurück. Dabei rieb sie von neuem die Hände gegeneinander, wärmte sie mit Pusten auf, um sie abermals behutsam auf den Leib des Kranken zu legen.
    Dieses Mal kostete es nur wenig Kraft, um ihn umzudrehen und flach im Bett auszustrecken. Noch einmal hauchte sie ihren warmen Odem in die Hände. Vorsichtig presste sie die Fingerkuppen unterhalb des Magens in die Eingeweide. Die Haut gab leicht nach. Dennoch meinte Magdalena, nicht tief genug in die Gedärme vordringen zu können.
    Gerkes Körper schnellte hoch. Ein animalisch klingender Laut entfuhr seinem Mund. Erschrocken versuchte sie, ihn in die Kissen zurückzudrücken. »So helft doch!«, schrie sie Dorothea an, die schreckensbleich neben dem Nachtkasten stand und sich die Hände vors Gesicht schlug.
    So jäh, wie Gerke sich aufgerichtet hatte, sackte er wieder in sich zusammen. Geistesgegenwärtig fing Magdalena ihn auf und bettete ihn vorsichtig in die weichen Kissen. Eine erlösende Ohnmacht überfiel ihn. Dennoch sah er gespenstisch aus. Das Gesicht war grau. Die hohlen Wangen ließen den Verlauf der Kieferknochen deutlich erkennen, die Augen versanken in dunklen Höhlen. Dazwischen ragte spitz die Nasenknolle heraus. Die Nasenflügel bebten unter dem flatternden Atmen. Magdalena tastete nach dem Puls. Der ging rasend schnell.
    »Er hat einen Stein«, sagte sie schließlich fest.
    »Einen Stein?« Schrill lachte Dorothea auf. »Das ist alles?«
    Ihre Augen bohrten sich in Magdalenas fest. Nicht zum ersten Mal wurde Magdalena bewusst, dass sie vom gleichen Smaragdgrün waren wie ihre eigenen. Dunkle Einsprengsel verliehen Dorotheas Augen etwas Rätselhaftes. Sie presste die Lippen zusammen. Helmbrechts Bernsteinaugen besaßen ähnliche Punkte. Wieso musste sie ausgerechnet jetzt daran denken? Sie drehte sich weg.
    »Nun, seht her«, mit dem Zeigefinger tippte sie leicht auf die Stelle an Gerkes Leib, die sie zuletzt berührt hatte. »Genau hier befindet sich der Stein. Wenn ich fester drücke, wird er wieder vor Schmerz hochschießen.«
    Zur Bestätigung drückte sie abermals den Finger tiefer hinein. Gerke bäumte sich auf, brüllte wie ein Stier und sackte danach kraftlos wie ein Neugeborenes in sich zusammen.
    »Ein Stein – das klingt so einfach.« Ungläubig beugte sich Dorothea über den Körper ihres Gemahls und betrachtete ihn. »Nach all den Qualen der letzten Stunden, ach was, Tage und Wochen, kann das doch nicht alles sein. Einfach lächerlich!« Kopfschüttelnd hielt sie den Blick auf ihren Gemahl gerichtet. Der ausgemergelte Leib zeichnete sich eckig unter dem dünnen Stoff seines langen Hemdes ab. »Warum habt Ihr das nicht schon früher gemerkt?«
    »Wie Ihr vorhin schon selbst gesagt habt«, Magdalena zwang sich zur Geduld, »bin ich seit Jahren nicht mehr als Wundärztin tätig. Stattdessen habe ich mich ganz auf den Handel mit hochwertigem Bernstein sowie auf den Verkauf besonderer Rezepturen beschränkt. Euer Gemahl hat mich um

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