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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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besagte Bernsteinessenz gebeten, um, wie er sich ausdrückte, harmlose Magenbeschwerden zu kurieren. Auf meine Nachfrage hat er versichert, es ginge ihm besser. Wieso hätte ich daran zweifeln sollen? Ich bin nicht vertraut mit ihm, ich treffe ihn nur gelegentlich in der Börse oder auf der Straße. Ihr aber …«
    »Es ginge ihm besser … ha, dass ich nicht lache!« In hohen Tönen keckerte Dorothea los. »Tag für Tag ist er dem Abgrund näher gerückt, hat an Gewicht verloren, den stattlichen Bauch eingebüßt. Trostlos haben ihm die Kleidungsstücke um den Leib geweht wie die kurfürstlichen Fahnen um die Stangen auf dem Schlossturm. Warum habt Ihr das nicht gesehen?«
    »Bin ich seine Gemahlin oder Ihr?« Magdalena schluckte ihren Zorn hinunter und versuchte, sich an das letzte Zusammentreffen mit Gerke zu erinnern. Schlecht hatte er ausgesehen, ausgemergelt und abgezehrt, aber beileibe nicht derart hundeelend, dass man einen Zustand wie diesen hätte befürchten müssen.
    »Seit Wochen klagt er über Beschwerden, doch Ihr habt bis heute früh kaum etwas davon mitbekommen«, ging sie Dorothea aufgebracht an. »Erst als er angefangen hat, sich in Krämpfen zu winden und zu jammern, seid Ihr aufmerksam geworden. Aber ganz gleich, wie es ist: Die Bernsteinessenz war genau das Richtige für ihn, um das Steinleiden wirksam anzugehen. Schon oft habe ich damit Patienten von ihren Beschwerden befreit, weil die Steine dank der Essenz auch ohne Aufschneiden verschwunden sind.«
    »Bei meinem Mann aber verhält es sich anders, wie man sieht. Die Essenz hat ihm nichts genutzt, der Stein quält ihn schlimmer denn je. Wollt Ihr ihn nun etwa tatsächlich aufschneiden?«
    Dorothea zog die linke Augenbraue nach oben. Ihr Blick wanderte zu der hüfthohen, reichverzierten Eichenholztruhe neben der Tür. Unwillkürlich tat Magdalena es ihr nach. Neben der Schnebbe lag dort die Lederrolle mit dem Wundarztbesteck, die sie einst von ihrem Lehrmeister geerbt hatte. Klappmesser, Spreizinstrumente und Fasszangen von zierlicher Größe befanden sich darunter, um dem Übel mit einem Dammschnitt zu Leibe zu rücken. Vorsorglich hatte sie auch einige Tiegel mit Wundsalbe sowie ein Digestivum mitgebracht. Insgeheim beglückwünschte sie sich zu der Voraussicht. Damit hatte sie alles für eine Operation Erforderliche beisammen. Lediglich der Branntwein zur Betäubung des Patienten fehlte. Den aber würde Dorothea in ausreichender Menge selbst im Haus haben.
    »Wir haben keine andere Wahl«, erklärte sie gefasst. »Je länger wir warten, desto schlimmer wird sein Zustand. Doch keine Sorge: Nach der Operation wird es ihm rasch viel besser gehen. Sobald der Stein draußen ist, ist er von den grässlichen Schmerzen befreit.«
    Sie berührte Dorothea sacht am Arm. Die schien gerade mehr Trost zu benötigen als der Patient. Die Kaufmannsgattin aber wich zurück. Ihre Miene verzog sich zu einer grimmigen Maske. Starr blickte sie auf ihren Gemahl. Gerke hatte in der krummen Seitenlage von neuem Erleichterung gefunden. Sein Wimmern war nahezu verstummt, auch das Zucken des Körpers hatte aufgehört.
    »Schickt nach meiner Tochter«, bat Magdalena und trat zur Truhe, um die Rolle mit den Instrumenten auszubreiten. »Sie wird mich bei der Operation unterstützen. Ich brauche zudem frische Leintücher, einige davon zum Zerreißen geeignet, um sie als Verbandszeug zu nutzen. Lasst außerdem heißes Wasser sowie eine große Flasche Branntwein bringen.«
    Der bevorstehende Eingriff ließ ihr Herz schneller schlagen. Kurz zögerte sie, ob sie es tatsächlich wagen sollte, selbst Hand anzulegen. Doch wer sollte es sonst tun? Kepler würde sich weigern, die schmutzige Aufgabe anzugehen. Das war unter der Würde eines studierten Medicus, ganz abgesehen davon, dass er der Abriegelung des Kneiphofs wegen vorerst unerreichbar war. Die anderen Wundärzte kamen erst recht nicht in Frage, sonst hätte Dorothea längst nach ihnen geschickt. Ihr Blick fiel auf den blinkenden Stahl der Instrumente, in dem sich das Kerzenlicht spiegelte. Sie nahm eines nach dem anderen in die Hand. Die Scheren und Zangen zu spüren, versetzte sie zurück. Nicht Jahre, höchstens Tage schienen mit einem Mal zwischen dem letzten und diesem Eingriff zu liegen. Sofort wusste sie wieder, was zu tun war, konnte jeden Handgriff mit geschlossenen Augen ausführen. Sprang ihr zudem Carlotta bei, würde nichts mehr schiefgehen. Frischen Mutes wandte sie sich um.
    Nichts hatte sich in dem feudal

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