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Das Bernsteinerbe

Das Bernsteinerbe

Titel: Das Bernsteinerbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Rehn
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eingerichteten Schlafgemach verändert. Die verschwenderisch im Raum verteilten Kerzen beleuchteten nicht nur das Krankenlager. Gewiss hatte Dorothea Gerke es darauf angelegt, trotz des erbärmlichen Zustands ihres Gemahls auch die Pracht des privatesten aller Gemächer im Haus vorzuführen: Zwischen den drei Fenstern zur Straßenfront hingen mannshohe Porträts von Dorothea und Martenn Gerke, auf dem intarsiengeschmückten Ebenholztisch in der rechten Ecke standen eine Silberschale mit exotischen Früchten sowie ein schwerer Kristallkrug mit rotem Wein. Die Vorhangstoffe und selbst die Bettwäsche waren von feinster Qualität. Sogar Gerkes Hemd war aus feinster Seide und nicht aus schlichtem Leinen, was Magdalena ein wenig geckenhaft erschien. Wahrscheinlich hatte Dorothea es ihm übergezogen. Kopfschüttelnd wandte sie sich wieder dem Kranken zu.
    Dorothea stand noch immer neben dem ausladenden Bett. Es war ruhig geworden. Der Wind rüttelte zwar noch an den Fenstern, das Lärmen auf der Straße jedoch war verstummt. Im Haus waren nur gedämpfte Schritte und Stimmen zu hören.
    »Was ist?«, fragte Magdalena leise in die Stille hinein.
    Dorothea zuckte ratlos mit den Schultern.
    »Warum geht Ihr nicht, um die Magd nach Leinen und Branntwein zu schicken? Besser, Ihr setzt Euch danach gleich nebenan in die Wohnstube. Lenkt Euch mit Lesen ab, das hilft immer. Gewiss ist eine neue Zeitung da. Aufregende Nachrichten gibt es derzeit ja leider mehr als genug. Eine Eurer Mägde soll Euch einen beruhigenden Aufguss bereiten. Eine heiße Schokolade wirkt wahre Wunder.« Sie schob die große Frau beiseite.
    »Gerke?«, rief sie sanft und tätschelte die Schulter des Patienten. Er gab keinen Mucks von sich. Mitleidig betrachtete sie das weiße Haar, das nur dürftig die fleckigen Stellen am Schädel bedeckte, und strich ihm eine Strähne aus der Stirn. Mitten in der Bewegung stutzte sie.
    Nicht das graue Gesicht erschreckte sie, auch nicht die eingefallenen Wangen. Etwas anderes verwirrte sie: Gerkes Atem war nicht mehr zu spüren! Hastig krampfte sie die Finger zur Faust, wollte die Hand aufwärmen, um die Fingerkuppen empfindsamer für das Fühlen zu machen. Sie tastete an seinem Hals entlang, suchte den Puls. Vergeblich.
    »Was ist?«, löste sich Dorothea aus ihrer Reglosigkeit.
    Magdalena brauchte nichts zu sagen. Es dauerte nicht lang, bis Dorothea begriff.
    »Nein!«, gellte ihr Schrei durch die Stille des düsteren Schlafgemachs.
    »Er ist tot«, stellte Magdalena traurig fest.
    19
    I n der Magistergasse stauten sich Wagen und Reiter. So gut es ging, bargen die Soldaten ihre rotgefrorenen Gesichter in den hochaufgeschlagenen Rockkrägen, die braunen Hüte tief hinabgezogen. Carlotta und Christoph wechselten einen kurzen Blick, dann zwängten sie sich an den nervös tänzelnden Pferden vorbei nach vorn. Bald befanden sie sich mitten im Getümmel der preußischen Blauröcke. Der Bagagewagen, der eben erst an ihnen vorbeigebraust war, versperrte ihnen den Weg zur Honigbrücke. Und in ihrem Rücken waren bereits zwei weitere Rüstwagen herangerollt und hatten sich ineinander verkeilt. Drohend bauten sich links und rechts davon die Dragoner auf. Es schien kein Entrinnen mehr zu geben. Vereinzelt drängten sich Kneiphofer Bürger näher heran. Ob sie Christophs Erklärung über den Königsberger Mut zum Trotz doch Courage zeigen wollten oder einfach nur nicht rechtzeitig hatten davonlaufen können wie die vielen anderen, war nicht auszumachen. Das Einzige, was Carlotta mit Sicherheit feststellen konnte, war, dass sie tatsächlich keine Waffen bei sich trugen. Unbarmherzig pfiff der Wind um die Ecken, blies immer neue Wolken nassen, schweren Schnees über die Menge. Regenschwer hingen Hutkrempen und wollene Umhänge auf den Gestalten.
    »Wie geht es jetzt weiter?«, fragte Carlotta leise. »Warum hast du gesagt, wir werden hier gebraucht, wenn es keinen Kampf und damit auch keine Verletzte geben wird?«
    Wie um die bedrohliche Stimmung zu unterstreichen, frischte der Wind abermals kräftig auf und trug ihre Worte davon. Erschrocken duckte sie sich gegen Christophs kräftige Schulter. Er indes reckte den Kopf und versuchte, über die Köpfe der Umstehenden und zwischen den Pferdeleibern hindurch Genaueres zu erkennen. Wieder hing der Schnee dicht in seinen Wimpern.
    »Wir sind hier, um mit eigenen Augen zu sehen, wie weit der Kurfürst gehen wird. Schließlich ist da vorn das Haus von Hieronymus Roth.« Angestrengt kniff er

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