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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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stand er unter der Tür, in einem einfachen Rock, gestützt auf seinen Buchenstock und auf dem Kopf eine biedere dunkelbraune Perücke mit einer Rollenlocke an jeder Schläfe.
    Genau vor dem Eingang des Schlosses ließ der russische Kutscher die Kalesche ausrollen und hielt ganz vorsichtig die Pferde an, um jeden Ruck zu vermeiden und den Zaren nicht auf seinem Sitz durchzurütteln. Einmal, vor einem halben Jahr, war ihm das nicht gelungen, die Pferde waren aus irgendeinem Grund nervös geworden, die Kutsche machte wahre Sprünge vor dem Anhalten, und der Zar war herausgestürzt, hatte seinen Knüppel geschwungen und den Kutscher so arg verprügelt, daß dieser drei Monate lang im Bett liegen mußte, bis er wieder den Kutschbock besteigen konnte.
    Kaum hielt der Wagen, sprangen zwei Lakaien heran, rissen die Fahrzeugtür auf und standen stramm. Der Zar kletterte aus der Kalesche.
    Tief bücken mußte er sich, die Tür war viel zu niedrig für ihn, aber er ließ sich keine seiner Größe entsprechende Kutsche bauen, einerseits aus Sparsamkeit, andererseits nach seinem Ausspruch handelnd: Ein Haupt zu beugen, ist keine Schande, auch der Zar muß es tun, allerdings nur vor Gott.
    Friedrich Wilhelm umfaßte mit einem Blick, wer da in sein Haus kam, und war sehr zufrieden.
    Peter I. maß an die zwei Meter, ein kräftiger Kerl, muskelbepackt und mit breiten Schultern, ein wahrer Riese, wie ihn Friedrich Wilhelm gern bei seinen Langen Kerls gehabt hätte. Das Gesicht des Zaren war sonnengebräunt, ein kleiner Schnurrbart glänzte über dem sinnlichen Mund, seine Augen blickten herrisch um sich. Das braune, gelockte Haar war diesesmal kurz geschnitten, gewiß wegen seiner Reise und der Königsbesuche, denn sonst ließ er selten eine Schere an seine Locken, eine Perücke war ihm lästig, und – was den Preußenkönig geradezu brüderlich stimmte – er stützte sich auf einen Knüppel, ein starkes spanisches Rohr, ähnlich dem Stock, mit dem Friedrich Wilhelm sein Preußen regierte.
    Nach dem Zaren kletterten Fürst Netjajew und General Odojewskij aus der Kalesche, aus dem nächsten Wagen watschelte der Zwerg Lewon heran, gefolgt von Hannibal, dem Leibmohren des Kaisers.
    Jeder Mensch hat seine Verrücktheiten, dachte der preußische König und kam Peter zwei Schritte entgegen. Er hat seine Mohren und Zwerge, ich habe meine Langen Kerls, der König von Frankreich befiehlt über ein Heer von Mätressen – jedem das Seine.
    »Ich begrüße Sie in Berlin«, sagte Friedrich Wilhelm und streckte seine Hand aus. Wie immer sprach er schnarrend und befehlend, so als sollte es heißen: Hier ist Berlin! Nehme Er Haltung an, Kerl!
    Peter ergriff die Hand, drückte und schüttelte sie … ein so massiver, schraubstockähnlicher Händedruck, daß Friedrich Wilhelm die Zähne zusammenbiß, um keinen Schmerzenslaut auszustoßen. Es stimmt, dachte er. Er hat Kräfte wie ein Stier. Die großen, harten Hände eines Arbeiters hat er, bedeckt mit Schwielen. Mein Vater mochte ihn nicht – er war ihm zu bäuerlich, zu ordinär, ein Zar, der wie ein Tagelöhner wirkte und lebte.
    »War's eine gute Reise?« fragte der König und geleitete den Zaren ins Schloß. In der Halle knicksten die Hofdamen, Sophie Dorothea, links neben sich den Kronprinzen Friedrich, rechts die Prinzessin Wilhelmine, verneigte sich. Sie trugen festliche, seidene Kleider mit Brokatstickereien, ganz im Gegensatz zu dem König, der seinen einfachen Rock und Gamaschenhosen bevorzugte. Auch der Zar war einfach gekleidet: ein Anzug aus grobgesponnenem Tuch, das vom vielen Tragen schon abgewetzt und fadenscheinig war, ein von der Sonne ausgebleichter dunkelgrüner Rock mit einem verschossenen blauen Futter und großen Messingknöpfen, auf dem Kopf ein bänderloser Hut, an den Beinen alte Strümpfe und Schuhe mit schiefgelaufenen Absätzen. In Versailles würde man ein solches ›Subjekt‹ aus der Schloßnähe verjagt oder sogar verhaftet haben.
    »Sie haben gute Straßen in Preußen.« Peter I. nickte den Damen zu, musterte mit Kennerblick die junge Gräfin von Donnersmarck, blinzelte ihr ungeniert zu und ging dann mit weit ausgreifenden Schritten und schlenkernden Armen auf die Königin zu. Kronprinz Friedrich starrte hinauf zu dem Riesen, betrachtete die Warze auf der rechten Wange, bemerkte ein nervöses Zucken im Gesicht des Zaren und klammerte sich an seiner Mutter fest.
    »Welche Freude, Sie so blühend zu sehen!« rief Peter laut aus, umfaßte ohne Zögern und mit festen

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