Das Bernsteinzimmer
Griff ihren Kopf, zog ihn an sich und schmatzte der Erstarrten und Überrumpelten zwei Küsse auf die Stirn. Der König, der hinter ihm stand, genoß amüsiert das Entsetzen seiner Frau.
So ist er, der Zar, dachte er. Völlig unkompliziert. Ein Kerl mit den Manieren eines sibirischen Holzfällers. Peter Alexejewitsch, wir könnten uns verstehen und Freunde werden, wenn du nur nicht immer Krieg führen würdest und dich von deinen Hurenweibern trennen könntest. Du hast doch eine brave Frau, die Katharina, die fast jedes Jahr schwanger ist. Was willst du mehr?
Peter hatte den Kopf der Königin wieder freigegeben und wartete nun darauf, was das Protokoll vorbereitet hatte. Aber es gab kein Protokoll. Nachdem schon 1713 der Hofmarschall und Oberkämmerer, der Oberheroldsmeister und Oberzeremonienmeister und andere Hofschranzen abgeschafft worden waren, gestaltete der König allein mit seinen Offizieren die Veranstaltungen für seine Besucher. Nur in der Küche befahl noch der königliche Küchenmeister seine ebenfalls zusammengeschrumpfte Kochbrigade – das, was der König und seine Familie aßen, konnte auch eine Bauersfrau kochen.
»Die Reise war lang –« sagte Friedrich Wilhelm – »war sie ermüdend? Wollen Sie sich ausruhen? Ich werde Sie in Ihre Gemächer begleiten. Ihr Gesinde ist ebenfalls bestens versorgt. Oder trinken wir erst einen Becher?«
»Trinken wir!« Peter I. rieb sich die Hände. »Und eine Pfeife rauchen wir. Meine holländischen Porzellanpfeifen, ich habe sie mit.« Er drehte sich um, winkte energisch, und da man das gewöhnt war, erschien sofort der Mohr Hannibal und trug eine große Schatulle auf beiden Händen. »Gehen wir –«
In dem sparsam möblierten Kabinett des Königs mit seinen weißgetünchten Wänden, wo es weder Teppiche noch Gardinen gab, waren sie dann allein, sogar Hannibal wurde weggeschickt, und der Lieblingszwerg Lewon durfte erst gar nicht ins Zimmer, sondern hockte sich vor der Tür auf den Boden. Wie eine große, bekleidete Kröte sah er aus.
Peter sah sich um und nickte mehrmals. »Wie bei mir. Was soll der ganze Prunk? Natürlich ist der Kreml in Moskau prachtvoll, die Paläste in Petersburg stellen sogar Versailles in den Schatten, die Schlösser in meiner Sommerresidenz Zarskoje Selo werden von den besten Baumeistern der Welt gebaut, von den besten Malern ausgestattet, von den besten Bildhauern und Silberschmieden geschmückt, man erwartet so etwas von einem Zaren … aber ich, mein lieber Freund, lebe lieber in einer massiven Holzhütte als zwischen Seide, Damast und Purpur.«
Er ging zum Tisch, auf den Hannibal die Schatulle gelegt hatte, öffnete das Schloß, hob den Deckel hoch und ließ Friedrich Wilhelm einen Blick hineinwerfen. Pfeifen in allen Formen und Längen aus Porzellan, gerade und gebogene, gebettet in grünen Samt, und an den Außenseiten bemalte Deckeltöpfe, gefüllt mit Tabak und Holzspänen zum Anzünden der Pfeifen.
»Ich lebe in kleinen Zimmern, schlafe auf hartem Bett und wohne, wie Sie, mit stabilen Möbeln.« Er suchte sich eine Pfeife aus, nahm eine andere, gebogene, aus der Samtklemme und reichte sie dem König hin. »Nehmen Sie diese. Meine beste, sie kühlt den Rauch, und nichts brennt mehr in der Kehle.«
»Ich werde es zu würdigen wissen.« Friedrich Wilhelm nahm die Pfeife tapfer und mit freundlicher Miene an, obwohl das Mundstück tief braun war und sichtlich kaum gereinigt wurde. »Was trinken wir?«
»Was Sie trinken, König von Preußen.«
»Ein volles, herb gebrautes Bier.«
»Muß das sein?« Peter verzog den Mund. Ein heftiges Zucken ließ sein Gesicht zu einer Fratze werden, der Kopf zuckte hin und her, der riesige Körper krümmte sich etwas, seine Augen weiteten sich. Nur kurz war dieser Anfall, jeder Fremde, der so etwas sah, erschrak zu Tode, nur der König nicht. Er wußte von diesen plötzlich auftretenden Krämpfen, die Peter von Kind an schüttelten und gegen die es kein Mittel gab.
Der Zar griff in eine Tasche seiner fleckigen Weste, holte ein Bernsteinkästchen hervor und entnahm ihm zwei Fingerspitzen voll Pulver, das er hinunterwürgte.
»Das einzige, was hilft«, sagte er und klappte das Döschen zu. »Von einem Schamanen hergestellt. Ein Pulver aus dem Magen und den Flügeln einer Elster. Alle Ärzte sind Idioten. Fände ich einen, der mir diesen Krampf nimmt, würde er der reichste Mann der Welt sein! Trinken wir einen Tokajer?«
Der König stampfte zur Tür, riß sie auf, stolperte fast über den
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