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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gestanden, wo sonst das Kruzifix hing, und Julius Wachter, der Sohn Friedrichs, der Medicus und Bernsteinzimmerverwalter unter den drei Zarinnen Anna, Elisabeth und Katharina II., hatte auf der Rückseite eingravieren lassen: »Möge der Segen uns alle erleuchten und beschützen, solange es Tag und Nacht wird auf dieser Erde. Petersburg, den 20. Mai 1766, unter der Güte der großen Katharina.«
    Der Segen war geblieben … Wachter fand die Ikone unter den Trümmern seines Kleiderschrankes, geschützt von den Fetzen eines Anzuges, als habe eine göttliche Hand sie unter den Stoff gesteckt.
    Die Kellerwohnung war bombensicher, aber kalt. Die dicken Mauern atmeten noch immer den Moder der Jahrhunderte aus. Drei Öfen ließ sich Wachter bringen, ein breites Bett mit dicken Daunendecken, einen Tisch, vier Stühle, einen Waschtisch, einen Schrank, einen Spiegel, einen Kohleherd, für dessen Abzugsrohr vier Tage lang ein Loch in das Gemäuer geschlagen werden mußte, ein paar Töpfe, Geschirr und Bestecke, einige Gläser, einen Teppich aus Kokosfasern, eine Lampe für die Decke und zwei für den Tisch. Das war alles, was man ihm aus dem Versorgungslager gab, und auch nur, weil er ein Schreiben des Gauleiters vorwies: »… dem Michael Wachter ist jede Hilfe zu gewähren …«
    Ein Feiertag war's, als polnische Arbeiter auf einem Handwagen ein richtiges Sofa brachten, ein Sofa mit grünem Plüschbezug und geschnitzten Lehnen, wie es millionenfach in deutschen Zimmern stand. Es war ein Geschenk von Kochs Intimus Bruno Wellenschlag, der nun, zum Gauhauptamtsleiter befördert, verantwortlich war für die Zuteilung an Mobiliar für ausgebombte Volksgenossen. Und auch zwei Bilder schickte Wellenschlag neben dem Sofa zur Verschönerung der Kellerwohnung mit. Das berühmte Hitlerbild, das den Führer in Uniform und Wettermantel zeigte, den Kragen hochgeschlagen, den festen Blick in die Ferne, in die Zukunft gerichtet, und eine Reproduktion des Gemäldes von Menzel: Das Flötenkonzert von Sanssouci.
    Sans souci … ohne Sorgen. Welch bittere Ironie!
    Wohin mit Hitler, fragte sich Wachter, als er das große Führerbild vor sich stehen hatte. Dort an die Wand? Ihn immer ansehen müssen, Tag und Nacht, bei jeder Bewegung, bei jedem Tun? Es beherrschte das Zimmer. Wohin mit ihm?
    Den Menzel hing er über dem Sofa auf. Den Führer nagelte er draußen an seine Tür. Als Dr. Findling ihn das erstemal im Keller besuchte und sarkastisch sagte: »Ist hier das Führerhauptquartier?«, antwortete Wachter: »Es ist mir eine Freude, ihn von hinten zu sehen. Die anderen sollen denken, ich folge ihm. Jedem das Seine …«
    An diesem 10. Januar 1945 nun besuchte Jana Petrowna ihr ›Väterchen‹.
    Glücklich war sie, fröhlich, himmelhochjauchzend, die Welt umarmend, stürzte fast in den Kellerraum hinein, fiel Wachter um den Hals, küßte ihn und drehte sich mit ihm im Kreise. Den ganzen Tag hatte sie im Krankenhaus gearbeitet, Listen und Berichte geschrieben, Formulare ausgefüllt und Oberschwester Frieda Wilhelmi auf dem Kontrollgang durch die Stationen begleitet. Die Schreibmaschine beherrschte sie jetzt vollkommen, schrieb blind und schnell, wie ein Maschinengewehr ratterte es, wenn sie Briefe oder Mitteilungen tippte, und Frieda, der Fleischturm mit dem menschlichen Gesicht, gewöhnte sich an ihre Mutterrolle so sehr, daß sie Jana wie eine Tochter liebte. Alle Mutterliebe, die sie nie hatte geben können, schüttete sie über Jana aus. Mit einem Donnerschlag hatte sie dafür gesorgt, daß der flotte Dr. Hans Phillip, nachdem er Jana in einer Abstellkammer bedrängt und ihr das Kleid zerrissen hatte, von Königsberg nach Elbing versetzt wurde. Nach der Drohung, alles hinzuschmeißen und mit ihrem ›Töchterchen‹ nach Berlin zu ziehen, war der Krankenhausleitung gar nichts anderes übriggeblieben. Das war 1943 gewesen, und seitdem gab es niemanden mehr, der Jana Petrownas Gegenwart als ungewöhnlich empfand. Auch der Personalchef schwieg … sie war die einzige Schwester ohne Papiere. Eigentlich ein Nichts, ein Phantom, das auf der Lohnliste stand.
    Seit 1943 hatte Jana eine Freundin, die Sylvie Aarenlund hieß und in Schweden geboren war. Sie studierte in Uppsala Kunstgeschichte, interessierte sich vor allem für ostasiatische Kunst und war 1943, als Bürgerin eines neutralen Landes, nach Königsberg gekommen, um sich an der Universität als Gasthörerin weiterzubilden.
    Zum erstenmal trafen sich Jana und Sylvie im Schloß, in der

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