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Das Bernsteinzimmer

Das Bernsteinzimmer

Titel: Das Bernsteinzimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gemälde im Saal neun. Leda und der Schwan. Von Boromäi Martini. Wunderschön! Und da führe ich 'ne Landsergruppe durchs Schloß, und was sagt einer von den Kerlen, nachdem er sich die Leda genau beguckt hat? ›Nichts für mich, Kumpels … die hat zu wenig Titten!‹ – So was muß man sich gefallen lassen, muß das runterschlucken … und da soll ich auch noch höflich sein?!«
    »Ich möchte zu Herrn Wachter.«
    »Isser krank?«
    »Nein, ich soll ihm einen Gruß überbringen.«
    Der griesgrämige Mann trat zur Seite, gab den Eingang frei und zeigte eine Steintreppe hinauf. »Da oben, erstes Stockwerk, erster Flur links. Da wohnt er. Hat da 'ne Riesenwohnung und ist allein. Da kann er mit Rollschuhen von einem Raum zum anderen fahren. Ist neu bei uns, der Wachter. Extra für'n Zimmer eingestellt, das sie jetzt aufbauen. Muß ja ein gewaltiges Ding sein, das Zimmer, wenn es einen Wächter für sich allein hat.«
    »Danke«, sagte sie, ging an ihm vorbei und drehte sich an der Treppe noch einmal nach ihm um. »Sie müssen sich nicht soviel ärgern. Der Krieg bringt uns Sorgen genug.«
    »Wem sagen Sie das, Schwester!« Der Mann wischte sich mit beiden Händen über das zerfurchte Gesicht. »Ich habe drei Söhne an der Front. Einer ist schon von den Engländern gefangen. Drüben, in Afrika, bei Marsa Matruh. Der wenigstens wird die Scheiße überleben.«
    »Ich hoffe, alle drei werden überleben.«
    Michael Wachter hob erstaunt den Kopf, als es an der Wohnungstür klingelte. Er las gerade in der Zeitung die Berichte von dem schrecklichen Wintereinbruch in Rußland, der die deutschen Armeen vor allem vor Moskau lähmte. Zitternd vor Frost hatten sich die deutschen Truppen eingegraben, während die russischen Divisionen, bestens ausgerüstet für die Kälte, ununterbrochen gegen die deutschen Stellungen anrannten. Wiederholte sich für Hitler die Niederlage Napoleons vor Moskau?
    Wachter legte die Zeitung weg, ging zur Tür, entriegelte sie und öffnete.
    »Töchterchen!« sagte er voller Freude, zog Jana in die Wohnung und umarmte sie. »Wie oft habe ich in den letzten Tagen an dich gedacht. Komm, zieh den Mantel aus, soll ich uns einen Tee kochen oder einen Grog … kalt ist's geworden, nicht wahr, und noch kälter wird es werden.«
    Er hing ihren Mantel an einen Dielenhaken und führte sie in die Wohnung. Sie war wirklich riesig … große, hohe Räume, beheizt mit Kachelöfen, die Decken mit kunstvollem Stuck verziert, Kassettentüren und ein Boden aus gewachsten Dielen. Die Einrichtung war über hundert Jahre alt und stammte aus dem Besitz des Museums. Trotz der weiten Räume war es gemütlich warm und sogar ein wenig vornehm, wie es im Volksmund heißt. Herrschaftlich.
    Nachdem Wachter einen guten Grog aus Rum gebraut hatte, saßen sie sich in den tiefen, breiten Sesseln gegenüber, und Jana erzählte ihre Erlebnisse der letzten Tage.
    »Diese Frieda Wilhelmi muß ich kennenlernen!« rief Wachter aus. »Umarmen muß ich sie! Keine bessere Stellung hättest du bekommen können.«
    »Ich denke oft an Nikolaj, Väterchen.« Jana Petrowna nahm vorsichtig einen kleinen Schluck von dem dampfenden Grog. »Wie wird es in Leningrad sein? Hungern und frieren werden sie. Tausende werden sterben … wie gut geht es uns, und wie schlecht wird es Nikolaj haben. Ob sie ihn zur Verteidigung eingesetzt haben? Ob er vorn in einem Bunker liegt?«
    »Wer weiß das, Janaschka? Einmal werden wir es erfahren, kein Krieg dauert ewig. Jeden Tag bete ich, daß wir Nikolaj wiedersehen. Viel Glück haben wir bisher gehabt.« Sie sprachen jetzt russisch miteinander, trösteten sich mit der gemeinsamen Sprache. Inmitten der fremden Räume und Möbel fühlten sie sich so fast wie zu Hause. »Das Bernsteinzimmer ist gerettet.«
    »Das Zimmer.« Jana lehnte sich in ihrem Sessel zurück. »Du wolltest mir immer von dem Zimmer erzählen, Väterchen. Es ist wertvoll, ja, aber für dich bedeutet es noch mehr als ein Kunstwerk. Und Nikolaj denkt genauso.«
    »Es ist so, Töchterchen. Wie könnte ein Wachterowskij ohne das Bernsteinzimmer leben! Warum … oh, das ist eine lange Geschichte. Ungeheure Schicksale haben seine Wände erlebt – getränkt ist es mit Blut und Tränen, Liebe und Haß, Elend und Glück. Alles, was das Leben einem Menschen geben kann, ist im Bernsteinzimmer aufbewahrt. Seine Wände atmen … wir Wachterowskijs spüren es. Wir sehen die Wände an und sehen zweihundert Jahre Schicksal.«
    »Erzähl, Väterchen, erzähl

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