Das Beste aus meinem Leben
Junge oder Mädchen sein möchte – ich wäre noch nicht geboren. Oder geschlechtslos. Gott sei Dank ist das eine Entscheidung, die man nicht selbst treffen muss. Andererseits haben wir hier einen Beweis dafür, dass der Mensch in den wichtigen Dingen des Lebens nichts zu sagen hat.
Wir quälen uns mit Kleinigkeiten. Die nimmt uns Entscheidungsschwachen keiner ab. Da sitzen wir vor Riesenspeisekarten und fragen uns, was wir bestellen möchten. Da hocken wir vor Fernsehern mit hundert Programmen, vor tausendundeins Urlaubsprospekten, vor Regalen mit Millionen Büchern und – weiß nicht, weiß nicht. Lauter Esel zwischen lauter Heuhaufen, hungrige, willenlose Esel.
An solchen Tagen möchte man zum Kellner sagen: Entscheiden Sie für mich, ich verhungere sonst.
Oder man wünscht sich einen Entscheidungsträger zur Seite wie einen Butler. Er müsste alle Entscheidungen treffen, natürlich stets in unserem Sinne.
Oder man stellt sich vor, es gäbe an den Hauswänden des Viertels Entscheidungsautomaten, aus denen man Entscheidungen packungsweise zöge wie Zigaretten oder Kondome. (Abends sagt einer dann zu seiner Frau: Ich gehe schnell Entscheidungen holen. Und holt Entscheidungen, eine vor allem. Und kommt nie wieder. Das gäbe es dann auch.)
Oder man würde an entscheidungsstarken Tagen Entscheidungen auf Vorrat treffen für die schwachen Zeiten, so wie man im Sommer Obst einkocht für den Winter. Als Kind dachte ich: Es gibt für jedes Leben ein kleines oder großes Buch, in dem alles, was geschehen wird, schon vorher detailliert drinsteht, wie im Drehbuch für einen Film. Aber keiner könnte reingucken in sein Buch, dachte ich damals. Eine subtile Gemeinheit eigentlich, denke ich heute, jedenfalls für Entscheidungsschwache. Man plagt sich, dabei ist alles längst entschieden. Unsere Aufgabe ist nur, drauf zu kommen.
Aber wenn es so wäre… Jedem von uns müsste es dann schon mal passiert sein, dass er sich anders entscheidet als im Lebensbuch vorgesehen, in einem simplen Moment der Auflehnung, des Gefühls künstlerischer Freiheit. Dann hätte es einen Anruf geben müssen, von oben oder unten, das Gebrüll eines Regisseurs: Was machen Sie?! Was erlauben Sie sich?! Gab es aber nie.
Es sei denn, es wäre wirklich wie in der Truman-Show , und alle um mich herum wüssten Bescheid, auch Paola, nur ich nicht. Würden mich sanft, unmerklich steuern. Und mein Leben, mein Denken, mein Fühlen fände öffentlich statt, vielleicht in einem Film, vielleicht auch in einer Zeitungskolumne oder in einem Buch.
Dann müssten ja viele Menschen von mir wissen, wie ich wirklich bin, fällt mir gerade ein, wie schrecklich entscheidungsschwach an manchen Tagen. Dass ich zum Beispiel nicht einmal genau weiß, ob ich gern ein Mann bin – peinlich.
Wirklich eine absurde Idee!
Was nach dem Tod kommt – und was davor
I mmer noch fahre ich den Luis jeden Morgen mit dem Auto zum Kindergarten. Während wir fahren, mache ich mir Gedanken über dieses und jenes, und Luis macht sich auch Gedanken über dieses und jenes. Und wenn er nicht mehr weiter weiß beim Nachdenken über dieses und jenes, dann – fragt er mich.
Neulich zum Beispiel dachte Luis zuerst über dieses und jenes nach und dann über das Diesseits und das Jenseits. Auf einmal fragte er mich:
»Papa, wenn man gestorben ist, dann wird man nach dem Tod wieder geboren, oder?«
Natürlich sagte ich sofort, was jeder Vater nach einer solchen Frage sagt, nämlich: »Wer hat dir denn das erzählt?«
Aber Luis wusste nicht mehr, wer ihm das erzählt hatte, und eigentlich war es ja auch egal. Ich sagte: »Na ja, es gibt Leute, die glauben, nach dem Tod wird man wieder neu geboren, aber als etwas anderes, nicht als man selbst. Und andere glauben, man kommt ins Paradies, wenn man ein gutes Leben geführt hat, und in die Hölle, wenn man ein böser Mensch war. Und wieder andere glauben, dass man einfach weg ist, für immer und ewig weg. Sicher ist nur: Genau weiß keiner, was nach dem Tod kommt.«
Pause. Kleines Schweigen.
Dann sagte Luis: »Na, wir werden es ja sehen.«
So ist das morgens bei uns im Auto. Wenn es gerade keine großen und keine kleinen Fragen zu besprechen gibt, dann denke ich zum Beispiel an die Arbeit, die ich an diesem Tag zu tun haben werde, wenn der Luis im Kindergarten ist.
An irgendwas, das ich schreiben muss, meistens.
In einer Familie, die von Schreiben lebt, ist ja viel vom Schreiben die Rede, so wie in der Familie eines Feuerwehrmannes
Weitere Kostenlose Bücher