Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
im Krankenhaus ankamen, reimte ich mir zusammen, dass ich aufgenommen werden sollte und es dem rätselhaften Unbekannten gut genug ging, um als meine Begleitperson mitzukommen. Niemand schien sich über seine Anwesenheit zu wundern, und da meine Neugier mittlerweile stärker war als meine Angst, ließ ich den Dingen ihren Lauf. Dieser Typ hat mich aus dem Feuer gerettet? Und er behauptet, mein Vater zu sein?!? Der Mann ging neben mir her, während ich durch einen endlos langen Flur nach dem anderen geschoben wurde. Er hatte die Kapuze seines Sweatshirts zurückgeschlagen und wirkte älter und kleiner, als ich ihn von unseren Begegnungen auf der Straße in Erinnerung hatte, als wäre er in der unbarmherzig grellen Krankenhausbeleuchtung irgendwie geschrumpft. Endlich wurde ich in ein Zimmer gefahren, in dem mich ein Arzt kurz untersuchte und sagte, dass sie mich noch eine gute Stunde dabehalten und beobachten wollten. Wenn ich mich danach einigermaßen erholt fühlte, könne ich wieder gehen. Dann ließ man mich mit dem Mann allein.
Ich zog mir die Sauerstoffmaske vom Gesicht.
»Ich glaube, es ist besser«, sagte der Mann mit einem starken spanischem Akzent, »die zu lassen.«
Aus irgendeinem Grund gehorchte ich. Mit der Maske auf hatte ich zwar den Eindruck, als würde ich schielen, doch der Sauerstoff fühlte sich angenehm sanft und kühl an. Ich drückte den Kopf ins Kissen und versuchte, tief ein- und auszuatmen. Mein Körper sehnte sich nach Schlaf, aber meine Gedanken kamen einfach nicht zur Ruhe, sondern versuchten unablässig, die vielen verwirrenden Informationen zu filtern, zu sortieren und zu interpretieren.
»Ich wollte dir keine Angst machen«, sagte der Mann traurig. Seine hellbraunen Augen wanderten an die Decke, als suchte er dort nach den Worten, die ihm fehlten. »Es tut mir leid. Ich wollte dich endlich finden. Ich wollte sehen, dass es dir gutgeht. Aber es ist nicht gut. Da ist ein böser Mann. Also bleibe ich, um dir zu helfen. Ich will, dass dir nichts passiert.«
»Ich verstehe nicht«, sagte ich. Etwas an dem Gesicht des Mannes, der sich zu mir vorbeugte, kam mir merkwürdig bekannt vor. Die Worte des Rettungssanitäters gingen mir nicht aus dem Kopf. Mein Herz begann laut zu pochen.
»Sprichst du spanisch?«, fragte er.
Ich hob die Hand und machte eine »so-là-là«-Bewegung. Es schien mir unklug, mich in der Unterhaltung mit einem Mann, der vorgab, mein Vater zu sein, auf mein mittelmäßiges Schulspanisch zu verlassen. Eine so potenziell bedeutsame Begegnung hat man schließlich nicht alle Tage.
Also erzählte mir der Mann in seinem stockenden Englisch und mit weit ausholenden Gesten, dass er Miguel Patilla heiße und mein Vater sei. Danach schien er nicht mehr weiterzuwissen. Er starrte auf seine Hände.
»Ich war viele Jahre verheiratet«, sagte er nach einer Weile. »Meine Frau ist letztes Jahr gestorben. Ich habe oft an dich gedacht. Ich habe so viel …« Er brach ab, dachte angestrengt nach und nahm dann einen neuen Anlauf. »Ich fühle mich schlecht. Ich war sehr jung, als das mit Lucia war. Ich hätte etwas tun müssen, als ihre Mutter sie weggeschickt hat, aber ich war … ein dummer Junge. Sie ist aus Ecuador weggegangen, und ich habe dich nie kennengelernt. Ich habe versucht, dich zu vergessen. Ich war nicht gut.«
Ich sah ihn wie gebannt an, während er sprach. In meiner Brust verknoteten sich Wut, Ungläubigkeit, Verwunderung und so etwas wie … Hoffnung? zu einem unentwirrbaren Knäuel. Ich hörte ihm zwar aufmerksam zu, doch gleichzeitig konzentrierte ich mich, wie um mich zu beruhigen, auf meine Atemzüge: Ein, aus. Ein, aus. …
»Ich bin ein Vater. Ich habe einen Sohn und eine Tochter.« Seine Augen strahlten. »Und dich natürlich«, fügte er hastig hinzu. »Zwei Töchter. Ich bin ein guter Vater für sie, für meine Kinder in Ecuador. Aber ich bin ein schlechter Vater für dich. Ich habe nicht gewusst, dass Lucia gestorben ist und dass du allein bist. Du bist so lange allein gewesen. Das macht mich sehr traurig.«
Plötzlich ging mir auf, warum er mir so bekannt vorkam: Er sah aus wie ich. Während er sprach, war mir, als würde hinter seinen Zügen mein eigenes Gesicht hervortreten. Seine Brauen waren ähnlich geschwungen wie meine, sein Kinn hatte die gleiche kleine Spitze. Meine Mutter hatte einen dunkleren Teint gehabt als ich – kaffeebraune Augen und milchschokoladenfarbene Haut. Dieser Mann hingegen hatte meine karamellbraunen Augen und honigfarbene
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