Das beste Rezept meines Lebens: Roman (German Edition)
Bauch sich schon unter dem ungewohnt gespannten T-Shirt zu wölben begann, bloß den Mut aufgebracht, alles hinter sich zu lassen und mit unzähligen Überlandbussen fast zehntausend Kilometer weit in eine fremde Stadt zu fahren, in der es nur einen einzigen Menschen kannte?
Durch ein städtisches Vermittlungsprogramm landete Lucia irgendwann in dem vornehmsten Salon, den sie je gesehen hatte. Während sie auf der Kante eines cremefarbenen Plüschsofas kauerte, erzählte sie Lolly St. Clair in dem unbeholfenen Englisch, das sie sich in den zwei Jahren als Putzfrau zugelegt hatte, dass sie eine Tochter habe, Anita, die genauso alt war wie Lollys Julia. Das war in Lollys Augen ein Pluspunkt. Die Komplikationen, die bei Julias Geburt aufgetreten waren, hatten eine weitere Schwangerschaft unmöglich gemacht, und Lolly wollte nicht, dass Julia als Einzelkind aufwuchs. Diese Version der Geschichte hatte ich im Laufe der Jahre oft gehört, doch ich kannte Lolly gut genug, um zu wissen, dass sie ihre Entscheidung nicht nur aus Eigennutz getroffen hatte. Hinter ihrem gepflegten Äußeren versteckte sich ein weicher Kern; Lolly hatte wirklich ein Herz für Bedürftige, und wer konnte bedürftiger sein als eine alleinerziehende, arbeitslose Immigrantin? Also zogen meine Mom und ich kurz darauf in die Remise des Anwesens der St. Clairs in Pacific Heights. Und bis zu dem Tag, an dem sie starb, haben wir beide nie woanders gewohnt.
Während ich sechs Dutzend Cupcakes auf Lollys weißen Serviertellern aus feinstem Limoges verteilte, bewunderte ich meine kleinen Kunstwerke. Lollys Sorge war nicht unbegründet gewesen, denn ich hatte tatsächlich eine ausgesprochene Vorliebe für extravagante Geschmacksrichtungen und originelle Noten. Am liebsten kombinierte ich frische Zutaten mit einem altmodischen, sündhaft süßen Cremeberg; Bio-Pfirsich und Chai-Latte mit einem Topping aus Vanille-Ingwer-Buttercreme war gerade eine meiner Lieblingskreationen. Doch weil Lolly St. Clair die klassischen Varianten bevorzugte, hatte ich für ihre Benefizparty schlichte Cupcakes mit feinem Zitrone-, Vanille- und Mokka-Geschmack gebacken. Sie waren kleiner als meine experimentellen Tortentürme, und die Haube aus zarter Buttercreme hatte ich mit selbst gemachten Zuckergussfigürchen verziert, lauter reizenden kleinen Vögelchen und Schmetterlingen. Kurzum, diese Cupcakes waren ein Gedicht. Oder um es weniger blumig zu sagen: Sie waren verdammt lecker.
Lolly bestand darauf, dass ich mich unter die Partygäste mischte, aber zuerst musterte sie mich noch von Kopf bis Fuß . Ein altbekannter Groll stieg in mir auf, während sie mein Outfit in allen Einzelheiten kritisch beäugte: die violette knielange Tunika, die schwarzen Leggings, das türkisfarbene Modeschmuck-Armband, die goldenen Kreolen und meine dunklen, unzähmbaren Locken, die bis zum Rücken reichten. Immerhin hatte ich mich nicht mit den Secondhandklamotten begnügt, die ich normalerweise trug. Ja, du hast Recht, dachte ich und erwiderte ihren Blick mit trotzig vorgerecktem Kinn. Ich passe hier nicht herein. Doch innerlich war ich nervöser, als ich mir eingestehen wollte, und ich spielte mit meinem Armband, bis Lollys strenge Prüfung abgeschlossen war.
Aus Stolz überwand ich mich, das Foyer zu durchqueren und mich der Party anzuschließen, die inzwischen in vollem Gange war. Schwarz befrackte Kellner schwirrten im Salon der St. Clairs umher und servierten Damen in knisternden Seidenkleidern teuren Wein in ebenso teuren Kristallgläsern. Alle sahen einfach perfekt aus: durchtrainiert, braun gebrannt und mit einem Lächeln wie aus der Zahnpasta-Werbung. Offenbar gab es einen Zahnarzt in Palm Springs, der auf Wunsch Poolbesuche abstattete, um dort sein Bleaching durchzuführen. Nur mir hatte mal wieder keiner Bescheid gesagt. Ich fühlte mich ein bisschen, als hätte ich mich in ein Ferienlager für reiche Erwachsene verirrt, wo man sich den Tag über mit Wassersport verausgabt hatte und nun im Speisesaal zusammenkam. Mit dem kleinen Unterschied, dass man sich auf Jachten statt auf Paddelbooten vergnügt hatte und der Speisesaal nicht mit Bierbänken, sondern mit Kronleuchtern, Samtvorhängen und einem unbezahlbaren Panoramablick ausgestattet war.
Nehmen diese Leute überhaupt irgendwelche Nahrung zu sich? , fragte ich mich, und es tat mir jetzt schon leid um die Tabletts voller angebissener Cupcakes, die am Ende des Abends im Müll landen würden. Als mir ein Glas Wein angeboten wurde,
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