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Das Bett

Titel: Das Bett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Farbband herumgezogen. Niemals schenkte sie den neuen Kartoffeln auf ihrem Teller weniger Beachtung, denn die Sorgen, die sich auf diesen kleinen Unfall bezogen, quälten sie. Sie machte alles falsch, verwechselte Messer und Gabel, ließ ihren Löffel fallen, verspritzte etwas Suppe und wischte mit der Serviette ähnlich kraftlos über die Gemüsesuppenflecken auf dem Tischtuch, wie es die Hände des Sterbenden auf der Bettdecke tun.
    Mein Gott, was mußte nun alles in die Wege geleitet werden: Eine Reparaturwerkstatt mußte gefunden und dem Monsignore abtelephoniert werden, dem sie das Manuskript ihrer Ausarbeitung zeigen wollte, da er ihr seit Erscheinen seines Lyrikbandes ›Du Mond‹ für Bewegungen im Weltall zuständig schien. Das alles war eine furchtbare Belastung, sie war zu gar nichts gut. Meine Eltern bemerkten ihre Verwirrung kaum, aber Stephan nahm sie zur |230| Kenntnis und betrachtete meine mit der Serviette beschäftigte Tante mit einem stillen Seitenblick. Es fiel ihm vielleicht schon jetzt ein Gegenmittel für den Gram meiner Tante ein, aber er hielt es wohl für klüger, es erst anzuwenden, wenn er dabei nicht durch meine Eltern und mich gestört werden konnte.
    Es kam dann auch ein anderes Thema auf. Mein Vater erklärte mit einem Nachdruck, der andeutete, daß er zu diesem Gegenstand einiges weitere auszuführen wünschte, daß er nun doch den neuen Gedichtband des Monsignore durchgeblättert habe.
    »Bitte«, sagte er, »durchgeblättert! Ich habe das Zeug natürlich nicht alles lesen können. Es ist wirklich zu – zu sonderbar.« Dabei sah er uns an, um zu zeigen, daß er noch nicht zu Ende sei. Meine Mutter vermutete, daß sich in dieser Vorbereitung weiterer Ausführungen ein Angriff gegen sie verbergen könne, und antwortete ihm gereizt: »Das ist doch nichts Neues, daß er sonderbare Sachen schreibt, meinst du, ich besuche seine Lesungen, weil mir das Spaß macht? Ich besuche diese Lesungen, weil du dich weigerst, dorthin zu gehen, und weil einer von uns da sein muß.«
    Mein Vater machte eine theatralische Geste der Begütigung, eine altmodisch-affektierte kleine Verneigung in Richtung meiner Mutter, die nicht dazu bestimmt war, sie zu besänftigen, sondern deren Wirkung auf die übrige Tischgesellschaft berechnet war, wie in volkstümlichen Theaterstücken der von seinem Eheweib tyrannisierte Familienvater seine Verzweiflung durch komische Resignationsgesten dem Publikum vorspielt. Anschließend sagte mein Vater, absichtlich zu leise: »Meine Bemerkung sollte keinen Vorwurf gegen dich enthalten, meine Liebe. Ich wollte nur andeuten, daß mir bis jetzt noch nicht recht klargeworden war, welch narzißtischer Ton diese Verse beherrscht.« In seinem Bestreben, meine aufgebrachte Mutter durch wissenschaftliche Akkuratesse einzuschüchtern, sprach er das Wort »narzißtisch« überdeutlich aus, im Tonfall eines erfundenen Bühnendeutschs, das zwecks besserer Hörbarkeit die Vokale färbt und umknetet. Mir war, als ob er eigentlich »narzüßstüsch« gesagt habe, obwohl |231| er nicht aus Berlin stammte und eigentlich nur meine Mutter hatte ärgern wollen.
    Normalerweise verstummte tatsächlich ihr Widerspruch. Sie zuckte ärgerlich mit den Achseln, wenn er sich so oder ähnlich benahm. Aber diesmal wollte sie den Vorwurf, den mein Vater gegen den dichtenden Monsignore erhoben hatte, nicht auf ihm sitzenlassen. Voller Entrüstung nahm sie ihn in Schutz und ließ nicht die geringste Konzession zu. Das könne man nun wirklich nicht sagen, die Gedichte seien schlecht, und sie selbst habe das schon immer, übrigens früher als mein Vater, gewußt, aber sonst habe sich der Monsignore gerade in der von meinem Vater inkriminierten Hinsicht völlig integer verhalten. Deswegen sei er ja schließlich kein Bischof geworden, deswegen habe er ja schließlich die verbotenen Kontakte angeknüpft, deswegen habe er ja auch den Mann von Ines Wafelaerts versteckt, deswegen sei er zweimal zur Gestapo bestellt worden. Erst jetzt stellte sich heraus, daß meine Mutter verstanden hatte, mein Vater wolle dem Monsignore einen nazistischen Ton in seinen Gedichten nachsagen. Stephan lachte zum erstenmal seit Tagen und erklärte, daß er in diese Narzißtenpartei auch gern eintreten wolle. Mein Vater floß über von der Liebenswürdigkeit des Siegers und nahm sich eine Tasse Kaffee in sein Arbeitszimmer mit.
    An das Westend schließt sich der Stadtteil Bockenheim an, nur durch eine der breiten Straßen, die Agnes aus

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