Das Bienenmaedchen
dem Himmel sei Dank! Ich hab schon befürchtet, dass du nicht mehr auf mich wartest.«
Sie fuhr herum. »Oh, Guy!«
Der blonde Mann verschwand aus ihrem Bewusstsein. Guy war an ihrer Seite – warm, sehr lebendig und außer Atem. Als er sich herunterbeugte, um sie auf die Wange zu küssen, roch sie Regen und Zigaretten.
»Tut mir leid, Liebling«, sagte er. »Das Übliche. Der Zug hat zwanzig Minuten direkt vor Paddington gestanden, weil irgendwas kaputtgegangen war. Und als ich endlich in einen Bus gestiegen war, konnte er bei Bayswater wegen einer Bombe nicht weiterfahren.«
Sie klammerte sich an ihn und wünschte sich plötzlich verzweifelt, sie müsste ihn nicht wieder gehen lassen.
»Ist ja gut«, beruhigte er sie. »Alles in Ordnung, Liebling. Jetzt bin ich ja hier.«
Ohne ihre Hand loszulassen, zog er einen Stuhl unter dem Tisch hervor und setzte sich. Als ein Kellner vorbeikam, bestellte er etwas. Das Essen wurde gebracht, und wie üblich aß er mit großem Appetit, wohingegen sie kaum merkte, was sie zu sich nahm. Stattdessen versuchte sie, sich seinen Anblick ins Gedächtnis einzubrennen, seine breiten Schultern, sein hübsches, spitzes Gesicht und das Licht, das auf seinem dunklen Haar schimmerte, das noch immer feucht war von draußen. Auch jetzt umgab ihn diese Atmosphäre der Stille – eine Einsamkeit –, als merke er überhaupt nicht, dass er unter Menschen war. Sie war überglücklich, ihn zu sehen, konnte aber dieses bange Gefühl nicht abschütteln.
»Wie geht’s deinen Eltern?«
»Sehr gut, danke der Nachfrage«, erwiderte er. »Sie waren sehr tapfer, als ich ihnen gesagt habe, dass ich fortgehe. Beim Abschied konnte ich sehen, dass meine Mutter geweint hatte, aber ich wusste, sie würde nicht wollen, dass ich es ansprach.« Er starrte einen Moment lang blicklos auf sein Essen, bevor er fortfuhr: »Sie haben derzeit zwei kleine Bengel bei sich, die aus Liverpool geschickt worden sind. Meine Mutter sieht allerdings müde aus, und sie macht sich genug Sorgen um Clive …«
»Das ist dein älterer Bruder? Der Pilot?«
»Genau.«
»Vielleicht lenken die kleinen Bengel sie ein bisschen ab.«
»Oh ja. Es sind aufgeweckte Burschen. Kommen aus einfachen Verhältnissen, natürlich, und man versteht kein Wort von dem, was sie sagen. Sie stellen furchtbar viel Unsinn an. Mein Vater musste ihnen eine Tracht Prügel verpassen, weil sie mit Eiern in der Scheune rumgeworfen hatten.« Er lachte. »Vermutlich hatten sie noch nie Hühner gesehen.« Er schob seinen Teller zurück und zündete sich eine Zigarette an. Er hatte etwas auf dem Herzen, das spürte sie.
»Wann musst du weg?«, fragte sie leise.
»Wir gehen morgen um sechzehn Uhr in Portsmouth an Bord. Es ist dir wahrscheinlich nicht möglich …«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Diese Nacht ist alles, was wir haben«, sagte sie, und er tastete wieder nach ihrer Hand. Sie ärgerte sich, als sie spürte, wie ihr die Tränen kamen. Sie sah weg und blinzelte wie wild. »Wohin gehst du? Weißt du wahrscheinlich nicht.«
»Dem Vernehmen nach geht’s um Wüsten-Khaki. Das ist alles, was ich weiß. Sollte ein bisschen wärmer sein als hier!« Sie lächelte nicht über diesen Scherz, und er fügte matt hinzu: »Kopf hoch!«
Einen Augenblick schwiegen beide, und sie ertappte sich dabei, dass sie wieder die Tänzer unten beobachtete. Es war sehr voll geworden, und die umherwirbelnde Luft war erfüllt von Rauch, Hitze und berauschender Musik. Sie erinnerte sich an den Mann, den sie vorhin kurz gesehen hatte, an den Mann mit den hellen, goldenen Haaren, der wie Rafe aussah, aber sie konnte ihn nicht entdecken.
Sie hob den Kopf und merkte, dass Guy sie verlegen ansah. Er griff in seine Brusttasche und zog eine kleine Schachtel heraus. Als er sie öffnete, kam ein zierlicher Ring mit einem Stein, der saphirblau glänzte, zum Vorschein.
»Oh Guy!«, sagte sie und starrte den Ring an. »Er ist wunderschön.«
»Er ist nicht echt, tut mir leid. Ich werde dir was Besseres besorgen, sobald ich kann.«
»Das macht mir nichts aus – wirklich nicht.« Sie drehte die Schachtel, sodass der Stein im Licht der Kronleuchter aufleuchtete, und wurde von Liebe und Erleichterung überflutet.
»Du weißt, was ich damit zum Ausdruck bringen will, mein Liebling, nicht wahr?«, sagte er mit heiserer Stimme. »Wir können nicht wissen, was geschehen wird, aber ich würde mir gern vorstellen, dass du hier bist und auf mich wartest. Wir kennen uns erst kurz, ich
Weitere Kostenlose Bücher