Das Bienenmaedchen
Wahrheit veränderte sie allmählich. Noch bevor sie das gefaltete Blatt Armee-Briefpapier aufnahm, wusste sie, dass Guy tot war.
Zehn Wochen zuvor war er beim Rückzug aus Kreta vermisst worden, aber aus irgendeinem Grund war das erst kürzlich festgestellt worden. Man hatte Lieutenant-Colonel Burton, den Absender des Paketes, darauf aufmerksam gemacht, dass Guy eine Verlobte hatte, und nun schickte er ihr all die Briefe zurück, die ihn nie erreicht hatten. Beatrice drehte sie herum und sah, dass es alle waren, ungeöffnet, und auf jedem Umschlag stand ihre ordentlich geschriebene Absenderadresse. Guy hatte also nicht erfahren, dass er ein Kind haben würde, hatte nie die Freude dieser Gewissheit ausgekostet und folglich auch nicht die Möglichkeit gehabt, irgendwelche Vorkehrungen zu treffen, um Mutter und Kind zu unterstützen. Doch das Allerschlimmste war: Beatrice musste der furchtbaren Tatsache ins Auge sehen, dass Guy nie mehr nach Hause kommen würde.
Mehrere Tage war sie außer sich vor Trauer und kaum in der Lage, die Wohnung zu verlassen. Es war Dinah, die ihr half und die dafür sorgte, dass sie etwas aß, und ihr sagte, sie müsse weitermachen wegen des Babys.
***
Sobald sie sich dazu fähig fühlte, schrieb sie ihren Eltern und teilte ihnen die entsetzliche Nachricht mit. Es würde keine Hochzeit geben. Das Baby würde keinen legitimen Vater haben. Sie zerriss den Brief, den sie ursprünglich an Guys Mutter geschrieben hatte, und schrieb einen neuen. Sie habe die Nachricht erhalten und sei am Boden zerstört. Noch immer fehlte ihr der Mut, das Baby zu erwähnen. Wochen vergingen, ohne dass eine Antwort kam, und so gab sie es auf. Sie würde ihnen nach der Geburt noch einmal schreiben und anbieten, sie mit dem Baby zu besuchen, falls sie es wünschten. Sie wusste nicht genau, wovor sie sich fürchtete: vor der kalten Zurückweisung durch die Hurlinghams, vor ihrer Betroffenheit oder der Unterstellung, dass sie versuchte, Geld von ihnen zu bekommen. Vielleicht war sie nicht fair. Wäre Mrs Hurlingham herzlicher und gastfreundlicher gewesen, hätte es anders sein können. Oder wenn sie selbst weniger stolz gewesen wäre …
Im August, als sie fast im sechsten Monat schwanger war, fand sich für Beatrice eine Stelle im FANY-Hauptquartier in Knightsbridge, wo sie Telefonanrufe entgegennahm und allgemeine Verwaltungsaufgaben erledigte. Sie war sehr erleichtert. An einem Dienstag, kurz nachdem sie mit dem neuen Job begonnen hatte, machte sie früh Schluss. Sie wollte noch ein paar Lebensmittel einkaufen und freute sich auf einen ruhigen Abend. Sie fühlte sich in dieser Zeit ständig müde – müde und unwohl und aufgerieben von der Trauer.
»Immer noch keine Butter«, sagte sie, als sie nach Hause kam und ihre Einkaufstasche auf dem Tisch ablud.
»Ich mach uns Tee. Du siehst ziemlich fertig aus.« Dinah, die einen Hausmantel und Pantoffeln trug und deren Gesicht von einer selbstgemachten Creme glänzte, kratzte gebackene Bohnen aus einem Stieltopf und schüttete sie auf einen Teller, auf dem noch vier flache Dreiecke gräuliches Brot arrangiert waren. Der Ausdruck von Ekel, mit dem sie auf ihr Abendessen blickte, war komisch. »Und auch keinen Käse, wie ich vermute. Was haben sie denn überhaupt?«
»Ein paar Möhren und Kartoffeln, und davon nicht viel.« Beatrice fing an, mit den schwungvollen Gesten eines Zauberers Dinge aus der Tasche zu ziehen. »Die letzten zwei Eier aus dem Laden, eine Dose Heringsrogen, Milchpulver natürlich und etwas – voilà – Pökelfleisch! Das ist Ihr Anteil bis Donnerstag, Madam.«
»Du bist zum Pökelfleisch herzlich eingeladen.« Dinah goss kochendes Wasser auf die ausgetrockneten, alten Teeblätter in der Kanne, stellte zwei Tassen und Untertassen hin und ließ sich vor ihrem kärglichen Abendessen nieder. »Ich geh jedenfalls morgen zum Abendessen aus. Hör mal, macht es dir etwas aus, wenn ich schon mit dem Essen anfange? Ich komm sonst zu spät ins Theater. Ich werde allerdings mein Ei einpacken, falls ich noch Zeit habe.«
»Ich werde sie kochen, wenn ich wieder normal atmen kann.«
»Hm«, nuschelte Dinah, während sie einen Bissen hinunterschluckte. »Ach, übrigens – als ich nach Hause gekommen bin, hat draußen jemand auf dich gewartet. Ein junger Bursche, blondes Haar, ein ziemlich gut aussehender Typ. Ich habe ihm gesagt, du wärst nicht da, und er hat gesagt, er käme wieder.«
»Oh, wer war das?«, fragte Beatrice. Ein irrationaler Teil von ihr
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