Das Bienenmaedchen
Wachleute gekleidet, aus dem Lager geschlendert. Ihr Plan sah vor, in die neutrale Schweiz zu gehen. Doch der Weg dorthin war versperrt, und Rafes Gefährte geriet wieder in Gefangenschaft. Rafe war untergetaucht und hatte dann für den Heimweg eine gewundene Route nehmen müssen. Unterstützt von der Résistance hatte er Frankreich durchquert und war schließlich eine Woche zuvor in einer mondhellen Nacht von einem britischen Flugzeug an einem Hügel in der Normandie aufgegabelt worden.
»Sie haben mich nach Dover gebracht. Da habe ich mich den Behörden vorgestellt und wurde herzlich in Empfang genommen. Als ich zu Hause angerufen habe, war das anders. Mein Stiefvater war am Telefon. Er wollte es erst nicht glauben, dass ich es war. Hielt es für einen ausgeklügelten Schwindel.« Rafe lachte.
»Du bist schon seit einer Woche zurück! Und keiner hat mir was gesagt!«
»Niemand wusste, wo du wohnst. Ich hab eine Weile gebraucht, bis ich es rausgefunden hatte. In der Zwischenzeit gab es für mich eine Menge nachzuholen. Und als ich es dann erfahren habe – du weißt schon –, wollte ich erst mal ein paar Tage niemanden sehen.«
»Angie.«
»Und mein Bruder, ja.«
»Wer hat es dir erzählt?«
»Angies Vater. Er war es auch, der mir deine Adresse gegeben hat.«
»Ich wusste nicht, dass er sie kennt.« Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass sie Michael Wincanton erzählt hatte, wo sie wohnte. Wozu auch?
»Oh, er findet alles Mögliche heraus. Ich hab jedenfalls von meiner Mutter aus bei den Wincantons angerufen und nach meiner Verlobten gefragt. Michael hat gesagt, dass Angie jetzt unten in Sussex wohnt und ich sie am besten selbst fragen soll. Ich habe darüber nachgegrübelt, was das heißen könnte, und mir am Ende gedacht, es sei das Beste, zu ihr zu fahren, und Auge in Auge die Wahrheit zu erfahren. Also habe ich den Zug nach Sussex genommen und sie überrascht. Allerdings war ich es dann, der eine böse Überraschung erlebte. Mein eigener Bruder!«
»Oh Rafe!«
Er klang so bitter, ganz anders als der Rafe, an den sie sich erinnerte.
»Gerald war natürlich nicht da, und nach dem Besuch bei Angie wusste ich überhaupt nichts mit mir anzufangen. Ich bin zum Bahnhof zurückgegangen und in einen Zug gestiegen. Ich dachte, er würde nach London fahren, aber dann bin ich in Brighton gelandet. Ehrlich gesagt war es mir völlig egal, wo ich war. Ich bin zwei oder drei Nächte dageblieben, habe furchtbar viel Whisky getrunken und in einer billigen kleinen Pension geschlafen, bis mein ganzes Geld aufgebraucht war. Dann bin ich allmählich wieder zu mir gekommen und hab es geschafft, mich per Anhalter wieder nach Hause zu befördern. Ein paar ATS-Mädchen, die mit einem Lastwagen nach Wimbledon gefahren sind, haben mich mitgenommen. Von da aus bin ich den Rest des Weges zu Fuß gegangen. Seitdem war ich bei meiner Mutter und hab die meiste Zeit verschlafen. Dann wurde mir klar, dass ich dich sehen musste. Verdammt noch mal, Bea, der Gedanke an zu Hause hat mich die ganze Zeit aufrecht gehalten, aber es ist nicht mehr der Ort, den ich verlassen habe! Hitler hat ihn halb kaputt gesprengt und alle scheinen verrückt geworden zu sein.«
»Ich bin dieselbe, Rafe! Dieselbe alte Bea.«
»Nein, bist du nicht. Schau dich doch an!« Beatrice schlang wie zur Verteidigung ihre Arme um ihren Bauch. »Angies Vater hat mir von deinem Verlust erzählt. Es tut mir so leid! Ich wusste noch nicht mal, dass du einen Verlobten hattest.«
»Guy«, sagte sie. »Ja, es hat mich etwas aus der Bahn geworfen.«
Eine Weile schwiegen beide, und sie sah ihm an, wie seine Gedanken dahintrieben. Sein Blick wanderte durch den Raum. Wie müde er aussah, so müde und erschöpft, als hätte er zwanzig Jahre des Leidens in die vergangenen achtzehn Monate gepackt.
»Wie ist es gewesen?«, flüsterte sie. Er sah sie verständnislos an. »Im Lager, meine ich.«
»So schlimm, wie du es dir nur vorstellen kannst.«
Stockend erzählte er ihr von den Entbehrungen, der Demütigung und der lässigen Brutalität.
Als er schließlich schwieg, trug er einen Ausdruck tiefer Müdigkeit im Gesicht, einem Gesicht, das die jugendliche Glut verloren hatte – wie eine Knospe, die vergangen war, bevor sie aufblühen konnte. Er saß da und starrte gedankenverloren auf seine Hände. Beatrice überkam eine große Furcht, dass etwas Lebenswichtiges in ihm verschwunden war oder sich ihr entzog. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, aus Angst, es könnte
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