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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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sie kann nicht widerstehen.«
    Als Beatrice am Vorabend nicht nach Hause gekommen war, hatten die Marlows Alarm geschlagen. Eine Suchmannschaft hatte das Mädchen in der Dunkelheit gefunden. Sie hatte sich verzweifelt an einen Felsüberhang geklammert, außerstande, nach oben oder nach unten zu klettern. Die eisige Gischt hatte sie völlig durchnässt, und sie war außer sich vor Angst, während unter ihr der Atlantische Ozean strudelte. Oenone Wincanton war bei der Suchmannschaft gewesen.
    »Alles, was Ihre Kleine sagen wird, ist, dass sie die Kinder retten wollte. Wie mutig von ihr! Sie hat natürlich nichts von den Stufen gewusst – wie sollte sie auch. Man kann die Treppe unmöglich sehen, wenn man nicht weiß, wohin man schauen muss.«
    Es gab also verborgene Stufen, die in die Klippe gehauen worden waren und die von der zweiten Bucht zu dem Gelände hinter Carlyon Manor hinaufführten. Die Wincanton-Kinder waren einfach hochgestiegen und sicher und trocken nach Hause gelangt – zwanzig Minuten nachdem sie aus Beatrice’ Blickfeld verschwunden waren.
    Beatrice stöhnte leise. Wie dumm sie sich fühlte! Sie ließ sich gegen die Wandverkleidung sinken und stieß sich den Ellenbogen an einem Regal. »Au!«
    »Wer ist da?« Die Absätze ihrer Mutter klapperten auf den Holzdielen. Gerade noch rechtzeitig schlüpfte Beatrice ins Esszimmer.
    »Beatrice?«, rief ihre Mutter durch den Flur.
    »Sie ist da drin, das kleine Luder«, sagte die Köchin, die mit einer Kanne Tee in der Küchentür auftauchte. Sie sah Beatrice böse an.
    »O ma fille«, sagte Delphine Marlow und musterte ihre Tochter. Sie runzelte nie die Stirn – davon bekommt man Falten, sagte sie immer -, aber Beatrice spürte förmlich, dass sie innerlich die Stirn runzelte. »Geh nach oben und kämm dir die Haare, mignonne. Madame Wincanton möchte dich sehen.«
    Im Salon wusste Beatrice nicht, wo sie sich hinstellen sollte. So blieb sie in der Nähe des Kamins, stand zuerst auf dem einen Bein, dann auf dem anderen, und schielte mit gesenktem Kopf durch ihre Wimpern auf die Besucherin. Oenone Wincanton beobachtete Beatrice mit einem amüsierten Gesichtsausdruck. Sie war sehr schön und elegant, dachte das Mädchen. Man sah, woher Angie ihr gutes Aussehen hatte. Das Haar von Mrs Wincanton war honigfarben, aber ein paar Nuancen dunkler als das ihrer Tochter und zu einem schlichten Knoten hochgesteckt – überhaupt nicht modisch, aber gleichwohl schön. Ihre Augen strahlten in einem reinen Blau wie kleine Stücke, die aus einem klaren Himmel herausgeschnitten waren. Beatrice fiel ein, dass sie Angies Mutter schon einmal bei einer Verfolgungsjagd gesehen hatte. Auf einer anmutigen rotbraunen Stute war sie am Strand entlanggaloppiert, hinter ihr ein älterer, soldatisch aussehender Mann auf einem großen schwarzen Jagdpferd.
    Heute trug sie nicht ihr Reitkleid, sondern ein adrettes Nachmittagskostüm in Marineblau und Weiß. Perlen glänzten an ihren Ohren und an ihrem Hals. Sie setzte ihre Teetasse samt der Untertasse ab und klopfte leicht neben sich auf das Sofa. Beatrice schlenderte hinüber und setzte sich auf eine Lehne des Sofas, die heißen Hände unter ihren Oberschenkeln. Als sie sah, dass ihre Mutter unwillig den Mund vorschob, zog sie ihre Hände hervor und faltete sie im Schoß zusammen. Der Schmollmund verwandelte sich in ein äußerst schwaches Lächeln.
    »Deine Mutter hat mir erzählt, dass du Pferde magst«, sagte Mrs Wincanton und sah Beatrice vergnügt an. »Wir haben zwei. Vielleicht möchtest du ja einmal zu uns kommen und sie dir anschauen?«
    Beatrice warf ihrer Mutter einen hilfesuchenden Blick zu, aber Delphine Marlow sah weg. Was ging hier vor?
    »Was magst du sonst noch, Beatrice?« Mrs Wincanton sprach ihren Namen ebenso wie ihre Mutter auf französische Weise aus. »Was für ein hübscher Name! Deine Mutter sagt, dass du recht gut lernst.«
    Beatrice dachte an den Geruch von Desinfektionsmitteln in den Räumen über der Zahnarztpraxis in der Stadt, wo Miss Tabitha Starling sie und zwei andere Mädchen aus dem Ort an einem großen runden Tisch im Schaufenster unterrichtet hatte, von dem aus man auf den Hof hinter dem Wirtshaus blickte.
    »Ich mag Naturkunde«, antwortete Beatrice, die nicht an die ungeteilte Aufmerksamkeit von Erwachsenen gewohnt war, stockend.
    »Ach ja, Angelina hat mir von deinen Gezeitentümpeln erzählt«, sagte Mrs Wincanton. »Sehr löblich. Du sprichst natürlich Französisch, du Glückliche. Und soweit

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