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Das Bienenmaedchen

Das Bienenmaedchen

Titel: Das Bienenmaedchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rachel Hore
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eingeladen«, sagte Mrs Marlow und strich ihrer Tochter zärtlich eine Locke aus dem Gesicht. Über dem Kamin hing ein großer, trüber Spiegel. Beatrice ging davor auf und ab und schnitt Gesichter, obwohl sie kaum groß genug war, um sich darin zu sehen. Dann fuhr sie mit den Fingern über die Muster von Blättern, Blumen und Früchten an dem geschnitzten Kaminsims und wunderte sich, wie warm und glatt sich das Holz anfühlte. Schließlich erspähten ihre scharfen Augen ein geschnitztes Insekt, das zwischen den Blütenblättern einer Blume versteckt war. Es war eine Biene mit weit ausgebreiteten Flügeln, so fein gearbeitet, dass Beatrice die Musterung darauf erkennen konnte. Mit der Fingerspitze fuhr sie die Form nach und überlegte, ob sie vielleicht die Einzige war, die die Biene je entdeckt hatte, weil sie doch so klein war. Sie trat einen Schritt zurück – die Biene war kaum noch zu erkennen. Beatrice wunderte sich noch immer darüber, als sich die Tür öffnete und Mrs Wincanton in Reithosen in den Raum stürmte. Sie atmete schnell und war hochrot im Gesicht.
    »Es tut mir leid, Mrs Marlow. Es ist so herrlich draußen am Strand, da hab ich die Zeit ganz vergessen!« Sie warf ihren Hut und die Reitgerte auf einen Sessel. Ihr fröhlicher Blick glitt über Beatrice in ihrem adretten braunen Kleid und den schwarzen Schnürschuhen. Dann erkannte sie, worauf das Mädchen geschaut hatte. »Oh, du hast unsere kleine Biene entdeckt? Ich werde dir ihre Geschichte erzählen.«
    Mrs Wincanton zog am Glockenstrang neben dem Kamin. Welche Geschichte sie auch immer hatte erzählen wollen, sie war schlagartig vergessen, weil irgendwo über ihren Köpfen ein unheimliches polterndes Geräusch eingesetzt hatte. Beatrice und ihre Mutter blickten ängstlich zur Decke, doch Oenone Wincanton schien unbeeindruckt. Als das Zaunkönig-Dienstmädchen erschien, sagte sie: »Wir werden jetzt Tee trinken, Brown. Würdest du Miss Beatrice zu den Kindern hinaufbringen? Aus dem entsetzlichen Lärm schließe ich, dass sie irgendwo da oben sind.«
    »Oben, Mam, alle. Miss Hetty quält den armen Hund zu Tode, und die Jungs spielen Kegeln im Flur. Der Butler is schon zweimal oben gewesen, um mit ihnen über ihr Benehmen zu sprechen, doch sie nehmen nich keine Notiz von ihm, Mam.«
    »Macht nichts. Ich kümmere mich später um sie. Jungs sind eben Jungs«, sagte Oenone zu niemand Bestimmten und ließ ein kleines Lachen hören. Sie gab Beatrice einen leichten Klaps auf die Schulter und sagte: »Geh mit Brown, Beatrice! Ich bin sicher, du wirst eine sehr nette Zeit verbringen, während ich mit deiner Mutter rede.«
    Mit einem flehenden Blick, den ihre Mutter geflissentlich übersah, folgte Beatrice dem kleinen Dienstmädchen nach draußen in den Korridor und dann eine breite Treppenflucht aus Holz hinauf. Oben betraten sie einen langen Flur, der sich nach rechts und links in die Dunkelheit erstreckte.
    »Vorsicht, Miss!«, schrie Brown und zog Beatrice an die Wand, als ein Geschoss, herausgeschleudert aus der Finsternis, herangeflogen kam und am anderen Ende des Ganges einen Stapel hölzerner Gegenstände krachend zum Einsturz brachte.
    Gebrüll erfüllte die Luft: »Treffer!« Und: »Ed, du widerlicher Betrüger! Dein Fuß war über der Linie.« Danach hörte man die Geräusche eines Gerangels.
    Browns hohe Stimme piepste über das allgemeine Durcheinander: »Master Edward, Master Peter, stehen Sie auf, beide. Sie haben Besuch.«
    Edward erschien als Erster. Er rappelte sich auf, wischte sich mit dem Arm über das schwitzende Gesicht und lachte. »Beatrice.« Er griff nach ihrer Hand und schüttelte sie herzlich. »Tut mir sehr leid. Ich fürchte, du hast einen schlechten Moment erwischt. Pete, steh auf. Komm schon, du tobender Riesenblödmann.«
    »Hallo«, murmelte Peter, der immer noch ausgestreckt auf dem Boden lag.
    Brown richtete sich zu ihrer vollen Größe von einem Meter siebenundvierzig auf und verkündete: »Sie soll’n sich um sie kümmern, hör’n Sie? Führen Sie sie rum. Wo is’ Miss Angie?«
    Edward zog Beatrice in einen großen unordentlichen Unterrichtsraum ohne Teppich, der eine Aussicht auf den hinteren Garten bot. Jenseits der Bäume konnte man einen Blick auf das funkelnde Meer erhaschen. Auch in diesem Raum herrschte Chaos. An einem Tisch neben dem Fenster saß Angelina. Sie las in einem zerknitterten Magazin und biss ab und zu in einen Apfel.
    Ein Grammofon spie krächzende Tanzmusik aus, und die kleine Hetty, deren

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