Das Bienenmaedchen
zweite Grund war ein Besuch unserer Hauslehrerin, Miss Simpkins. Sie war leidenschaftlich davon überzeugt, dass meine schulische Ausbildung nach dem Sommer weitergehen sollte. Ich sei extrem begabt, erklärte sie meinen Eltern, und es wäre eine Verschwendung, wenn ich den Unterricht jetzt aufgäbe. Über meinen Kopf hinweg diskutierten meine Eltern endlos die verschiedenen Möglichkeiten. Wie immer war der Geldmangel das Haupthindernis für jedes höher gesteckte Ziel. Schließlich erklärte sich mein Vater ein weiteres Mal bereit, seinen Stolz hinunterzuschlucken und in dieser Angelegenheit an seinen Vater zu schreiben.
Zu seiner Verwunderung reagierte mein Großvater mit einem großzügigen Angebot. Wenn ich ein angesehenes Internat für Mädchen in der Nähe seiner Heimat in Gloucestershire besuchte, würde er für die Schulgebühren aufkommen. Das bedeutete, dass ich meine freien Wochenenden bei den Großeltern verbringen würde – die sich auf mich freuten – und nur in den großen Ferien nach Hause kam. Und so wurde es entschieden. Es gab natürlich noch das kleine Problem mit der Aufnahmeprüfung, aber da habe ich mich mithilfe von Miss Simpkins irgendwie durchgewurstelt. Man bot mir einen Platz an, und ich sollte im darauffolgenden September anfangen, kurz vor meinem sechzehnten Geburtstag.«
»Warst du nicht traurig, dass du nun nicht nach Paris und London kommen würdest?«, fragte Lucy.
»Vielleicht überrascht es dich, aber das war nicht so. Ich wollte diese Städte sehen, ja. Aber eigentlich war ich davon überzeugt, dass ich mich dort nicht wohlfühlen würde. Das ganze Getue hätte mich fix und fertig gemacht – Leute, die mich anstarren und über mein Aussehen und meinen Hintergrund tuscheln, die sich leise fragen, wie viel Geld mein Vater wohl hat, und solche Sachen. Ich wusste, sie würden mich in allem als mangelhaft beurteilen. Außerdem nahm Rafe in meinem Kopf einen großen Raum ein, und mir gefiel die Vorstellung, dass er in Oxford studierte und ich nur ein paar Meilen entfernt im Internat war. Ich habe versucht, seine Geschichten über Schikanen und kleine Grausamkeiten auszublenden, und dachte, Jungs wären eben so. Für eine moderne junge Frau wie dich klingt es vielleicht hoffnungslos unrealistisch – aber ich habe wirklich geglaubt, wir wären füreinander bestimmt und würden eines Tages zusammen sein. Ich würde auf ihn warten, und wenn er mit der Universität fertig wäre, würde ich da sein. Ich wusste es einfach, Lucy. Ich habe ihn so sehr geliebt, dass es wehtat!«
Lucy lächelte. »Solche Gefühle hatte ich noch nie für jemanden«, sagte sie. »Seit ich ein Teenager war, sind die Jungs gekommen und gegangen. Bei keinem hatte ich das Gefühl: Mit dem möchte ich für immer zusammenbleiben.«
»Ich glaube, es lag auch daran«, fuhr Beatrice fort, »dass meine Jugend sehr behütet war. Ich hatte mich in einen Kokon von Tagträumen eingesponnen. Dabei ist es gefährlich, allzu oft allein mit einer Fantasie zu sein …
Die letzte Phase meines Unterrichts in Carlyon war anders als früher. Obwohl Miss Simpkins ihren Pflichten für die kleine Hetty nachkam, hat sie doch den größten Teil ihrer Aufmerksamkeit mir gewidmet, um mich auf die Schule vorzubereiten. Angie ließ sich durch die Unterrichtsstunden treiben und gab sich kaum Mühe. Sie langweilte sich im Schulzimmer, sie langweilte sich, weil sie wie ein Kind behandelt wurde. Jeder konnte das sehen. Sie redete nur noch über den September. Über die Schule, die sie in Paris besuchen würde, über die anderen Mädchen, die vielleicht dort waren. Wer sie auf der Reise beaufsichtigen würde. Große Aufregung entstand, als ein Brief von Lady Hamilton eintraf, in dem sie anbot, Angie in der Saison 1939 bei Hofe zu präsentieren.
Angie hat den Unterricht ohne Zweifel gehasst, und sie hat es gehasst, auf dem Land festzusitzen. Sie sehnte sich nach dem Stadtleben und dem Trubel, sie sehnte sich danach, in dem großen weißen Haus ihres Vaters in London zu leben und jeden Abend zu Festen zu gehen. In dieser Sehnsucht schwang immer eine ängstliche Unruhe mit. Es war, als wollte sie, ganz gleich, was sie bekam, immer auch das Unmögliche. Ich glaube, ihr Vater hatte ihr das angetan: mit seinem Fernbleiben und der verwirrenden Art, mit der er sie behandelte, wenn er da war – er flirtete mit ihr, nahm sie aber als Persönlichkeit kaum wahr. In Angies Vorstellungen von London war alles mit ihm und dem glanzvollen Leben verbunden,
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