Das Bild - Geschichte einer Obsession
erstreckt, in vollem Licht.
Das Blut, das aus der Spalte in der Mitte drang und in Strömen über den oberen Teil des Schenkels und zu beiden Seiten auf den Fliesenboden floß, schien anzudeuten, daß die junge Frau gepfählt worden war, um sie zu töten, oder etwas in dieser Art. Blut strömte überdies aus ihrem halbgeöffneten Mund und lief in einem gewundenen Band quer über ihre Wange, bevor es den Boden erreichte. Trotz dieses Details hatte das Gesicht einen ruhigen, fast glücklichen Ausdruck. Es schien sogar fast so, als lächelte der Mund.
Ich stellte fest, daß dieses Foto nicht am gleichen Tag wie die anderen, wie gewisse andere zumindest, gemacht worden war. Die Farbe, welche die Brust besudelte, mochte seit der vorhergehenden Pose abgewaschen worden sein, aber auch die Striemen von den Peitschenschlägen auf dem Hintern, Spuren, die nicht so schnell verschwinden, waren nicht mehr zu erkennen... Waren die Aufnahmen also vielleicht in einer anderen Reihenfolge gemacht worden? Oder waren die bezaubernden Streifen auf der Haut nur Schminke wie das übrige?
Ich wollte Claire danach fragen, aber als ich mich zu ihr drehte, sah ich, daß sie noch ein weiteres Foto in den Händen hielt, das sie aus ihrer Mappe gezogen hatte, während ich glaubte, die Serie sei beendet.
Sie reichte mir das Bild. Und sofort schien es mir, als sei dieses nicht wie die vorherigen. Schon der Abzug unterschied sich deutlich davon, aber da war noch etwas anderes. Der Körper war durch den Bildausschnitt abgeschnitten, wohingegen man ihn bis jetzt immer ganz gesehen hatte. Überdies war die Umgebung nicht mehr die des strengen gotischen Zimmers, sondern die, in der wir uns gerade unterhielten. Zurückgelehnt in einem der kleinen Sessel streichelte eine Frau, das Nachthemd bis über die Mitte des Bauches hochgezogen, das Innere ihrer Scham.
Aufgrund der allzu verschwommenen Falten des Nachthemds konnte man nur die nackten Partien deutlich erkennen: die beiden Arme, die Hände, den Unterleib und die Öffnung der Schenkel. Die Beine unterhalb der Knie sowie der Kopf und die Schultern lagen außerhalb des Bildfeldes.
Zwischen den weitgespreizten Schenkeln ziehen Zeige- und Mittelfinger der linken Hand die fleischige Lippe auf der einen Seite nach außen, während Daumen und kleiner Finger der rechten dasselbe auf der anderen Seite tun. Der vierte Finger dieser Hand ist gekrümmt; der Zeigefinger berührt die Spitze der Klitoris, die deutlich erigiert ist; weiter unten dringt der Mittelfinger in der Länge eines Fingergliedes in die gut sichtbare Öffnung. Unter dem grellen Licht glänzt die Oberfläche der Schleimhäute durch die Sekrete.
Was mich schließlich vollends mißtrauisch machte, waren die sehr dunkel lackierten Fingernägel dieser beiden Hände. Ich erinnerte mich, daß die Nägel der kleinen Anne unlackiert waren. Und dann kamen mir die ganze Haltung, die Rundung der Arme, jede Einzelheit der Pose weniger hingegeben, weniger verführerisch und auch das Schamhaar dunkler vor. Um Claire zu fragen, ob ich das Modell kennen würde, das in diesem Fall Verwendung gefunden hatte, blickte ich zu ihr auf.
Ihr Gesicht hatte sich verändert: es war gerötet, weniger kühl, sichtlich verwirrt. Ihre ganze Person kam mir plötzlich unendlich begehrenswerter vor als sonst. Sie trug einen schwarzen Pullover und eine auf Taille gearbeitete Hose; zurückgelehnt in ihrem Sessel, wie auf dem Foto, ließ sie ihre Hand zwischen den Schenkeln umherirren. Der gepflegte Lack ihrer Fingernägel war von intensivem Rot.
Mit einem Schlag begriff ich, daß sie mir auf diese Weise eine Fotografie von sich gezeigt hatte. Sie hatte sie vermutlich mit Hilfe eines Selbstauslösers aufgenommen. Das sehr verhüllende Nachthemd und das Abschneiden des Gesichts waren Berechnung: Sie erlaubten es, diese Aufnahme den anderen hinzuzufügen, ohne daß man auf die Idee kam, es könne sich um eine andere Person handeln.
Ich legte den Karton auf den niedrigen Tisch, ohne meinen Blick von Claire abzuwenden, und zögerte, mich ihr zu nähern...Doch Claire fing sich sofort wieder. Sie erhob sich abrupt aus ihrem Sessel, drehte sich einmal um sich selbst und zeigte sich mir erneut in ihrer gewohnten Haltung: streng, hart, von makelloser Schönheit.
Sie sagte kein Wort. Sie stand da und blickte mir etwas hochmütig direkt in die Augen, um zu sehen, ob ich etwas sagen würde.
Auf den Tisch weisend sagte ich:
«Das letzte Foto da, ist das immer noch die kleine Anne?»
«Wer sollte
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