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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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mir den
Hals gebrochen wie einen Hühnerknochen«, erzählte sie
Bill, ohne aufzuschauen. Sie hatte sich aber geschworen, daß
sie ihn verlassen würde; gleich das nächstemal, wenn er
ihr weh tat. Aber nach dieser Nacht hatte er lange Zeit
nicht mehr Hand an sie gelegt. Etwa fünf Monate. Und als er doch wieder angefangen hatte, war es anfangs nicht so
schlimm gewesen und sie hatte sich gesagt, wenn sie es
aushalten konnte, immer wieder mit einem Bleistift gepiekst
zu werden, konnte sie auch ein paar Schläge wegstecken.
Das hatte sie bis 1985 gedacht, als die Situation plötzlich
eskaliert war. Sie erzählte Bill, wie schrecklich Norman
in jenem Jahr gewesen war, weil er den Ärger mit Wendy
Yarrow hatte.
»Das war das Jahr, in dem du die Fehlgeburt gehabt hast,
richtig?« fragte Bill.
»Ja«, erzählte sie ihren Händen. »Außerdem hat er mir
eine Rippe gebrochen. Vielleicht auch mehrere. Ich kann
mich nicht mal mehr erinnern, ist das nicht schrecklich?«
Er antwortete nicht, daher sprach sie hastig weiter und
erzählte ihm, das Schlimmste (natürlich abgesehen von der
Fehlgeburt), seien seine Phasen langen Schweigens gewesen,
wenn er sie einfach nur angesehen und laut durch die Nase
geatmet hatte wie ein Tier, das sic h auf einen Angriff vorbereitet. Nachdem Wendy Yarrow gestorben war, sagte sie, war
es etwas besser geworden. Sie erzählte auch, wie sie am Ende
ein paar Aussetzer gehabt hatte, wie ihr manchmal die Zeit
davonlief, wenn sie im Schaukelstuhl saß, und wie
sie
manchmal den Tisch deckte und horchte, ob Normans Auto
in die Garage fuhr, und dabei feststellte, daß sie im Lauf des
Tages sechs- oder sogar achtmal geduscht hatte. Normalerweise, ohne das Licht im Bad einzuschalten. »Ich habe gern
im Dunkeln geduscht«, sagte sie, wagte aber immer noch
nicht, von ihren Händen aufzusehen. »Das war wie in einem
nassen Schrank.«
Zuletzt erzählte sie ihm von Annas Anruf, den Anna aus
einem wichtigen Grund so schnell gemacht hatte. Sie hatte
etwas erfahren, das nicht in dem Zeitungsartikel stand, eine
Einzelheit, die die Polizei nicht an die Öffentlichkeit dringen
ließ, damit sie falsche Geständnisse oder irreführende Tips
ausschließen konnten. Peter Slowik hatte mehr als drei Dutzend Bißwunden, und mindestens ein entscheidender Teil
seiner Anatomie fehlte. Die Polizei glaubte, daß der Mörder
ihn mitgenommen hatte … auf die eine oder andere Weise.
Anna wußte aus den Therapiesitzungen, daß Rosie McClendon, deren erster wichtiger Kontakt in der Stadt Annas
Ex-Mann gewesen war, mit einem Beißer verheiratet war.
Es könnte ein Zufall sein, hatte Anna rasch hinzugefügt.
Aber … andererseits …
»Ein Beißer«, sagte Bill leise. Es hörte sich fast an, als
würde er Selbstgespräche führen. »Nennt man Männer wie
ihn so? Ist das der Fachausdruck?«
»Ich glaube, ja«, sagte Rosie. Und weil sie Angst hatte, er
würde ihr vielleicht nicht glauben (er könnte denken, daß sie
»fabuliert« hatte, in Normansprache), glitt sie mit der Schulter kurz aus dem rosa T-Shirt mit der Aufschrift Tape Engine,
das sie trug, und zeigte ihm den alten, weißen Ring der
Narbe dort, die an einen Haifischbiß erinnerte. Das war der
erste gewesen, das Geschenk aus ihrer Hochzeitsnacht. Dann
drehte sie den linken Unterarm nach oben und zeigte ihm
noch einen. Diesmal mußte sie nicht an einen Biß denken;
aus einem unerfindlichen Grund dachte sie an glatte weiße
Gesichter, die fast in üppigem grünem Unterholz verborgen
waren.
»Der hier hat ziemlich geblutet und sich entzündet«, sagte
sie ihm. Sie sagte es im Tonfall von jemand, der eine Routineinformation weitergibt - etwa daß Großmutter vorhin angerufen oder der Briefträger ein Päckchen dagelassen hatte.
»Aber ich war nicht beim Arzt. Norman brachte eine große
Flasche Antibiotika nach Hause. Die hab ich genommen, und
darauf ist es besser geworden. Er kennt alle möglichen Leute,
von denen er etwas bekommen kann. Diese Leute nennt er
>Daddys kleine Helfer<. Das ist eigentlich ziemlich komisch,
wenn man darüber nachdenkt, findest du nicht?«
Sie redete immer noch weitgehend zu ihren Händen, die
sie im Schoß gefaltet hatte, aber dann riskierte sie doch einen
raschen Blick auf ihn, um seine Reaktion auf ihre Schilderung zu sehen. Was sie sah, setzte sie in Erstaunen.
»Was?« fragte er heiser. »Was ist, Rosie?«
»Du weinst«, sagte sie, und nun bebte ihre Stimme.
Bill sah überrascht drein. »Nein, stimmt nicht. Jedenfalls glaube ich nicht, daß ich

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