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Das Bild

Das Bild

Titel: Das Bild Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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weine.«
Sie streckte einen Finger aus, beschrieb sanft einen Halbkreis damit unter seinem Auge und zeigte ihm die Fingerspitze. Er betrachtete sie eingehend und biß sich auf die
Unterlippe.
»Und viel gegessen hast du auch nicht.« Sein halber Hot
Dog lag noch auf dem Teller, und senfbestrichenes Sauerkraut quoll aus dem Brötchen.
Bill warf den Pappteller in den Abfalleimer neben der
Bank, dann sah er Rosie wieder an und wischte sich geistesabwesend die Nässe von den Wangen.
Rosie spürte, wie eine trostlose Gewißheit über sie kam.
Jetzt würde er fragen, warum sie bei ihm geblieben war, und
sie würde nicht von der Parkbank aufstehen und gehen
(ebensowenig, wie sie das Haus in der Westmoreland Street
verlassen hatte, bis letzten Monat), aber es würde die erste
Barriere zwischen ihnen aufrichten, weil es eine Frage war,
die sie nicht beantworten konnte. Sie wußte nicht, warum sie
bei ihm geblieben war, so wenig wie sie wußte, warum am
Ende nur ein Tropfen Blut erforderlich gewesen war, um ihr
ganzes Leben zu verändern. Sie wußte nur, die Dusche war
der beste Ort im ganzen Haus gewesen, dunkel und naß und
voller Dampf, und manchmal war ihr eine halbe Stunde in
Pus Stuhl wie fünf Minuten vorgekommen, und wenn man
in der Hölle lebte, war >Warum< eine Frage ohne Bedeutung.
In der Hölle gab es keine Motivation. Die Frauen bei den
Therapiesitzungen hatten das verstanden; dort hatte niemand sie gefragt, warum sie geblieben war. Dort wußten
sie es. Wußten es aus eigener Erfahrung. Sie hatte eine
Ahnung, als wüßten manche von ihnen sogar von dem
Tennisschläger … oder von Schlimmerem als einem Tennisschläger.
Aber als Billy schließlich seine Frage stellte, unterschied
sie sich so sehr von der, die Rosie erwartet hatte, daß sie
einen Moment nur stammeln konnte.
»Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, daß er diese Frau
ermordet hat, die ihn 1985 in so große Schwierigkeiten
brachte? Diese Wendy Yarrow?«
Sie war schockiert, aber es war nicht die Art von Schock,
die man angesichts einer undenkbaren Frage empfindet; sie
war etwa so schockiert wie jemand, der ein vertrautes Gesicht an einem völlig unwahrscheinlichen Ort antrifft. Die
Frage, die er laut ausgesprochen hatte, ging ihr schon seit
Jahren, unausgesprochen und deshalb nicht richtig ausformuliert, im Kopf herum.
»Rosie, ich hab dich gefragt, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist -«
»Ich glaube, sie ist… nun, ziemlich groß.«
»Es war praktisch für ihn, daß sie einfach gestorben ist,
richtig? Es hat ihn davor bewahrt, daß er die ganze Sache in
einem Zivilprozeß durchstehen mußte.«
»Ja.«
»Wenn sie gebissen worden wäre, glaubst du, die Zeitungen hätten es gedruckt?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht nicht.« Sie sah auf die Uhr und
stand hastig auf. »O Mann, ich muß gehen, und zwar gleich.
Rhoda wollte um Viertel nach Zwölf wieder anfangen, und
jetzt ist es schon zehn nach.«
Sie gingen Seite an Seite zurück. Sie wünschte sich, er
würde wieder den Arm um sie legen, und als ein Teil ihres
Verstands ihr gerade sagte, daß sie nicht zuviel verlangen
sollte, und ein anderer (Ms. Praktisch-Vernünftig), sie sollte
keinen Ärger herausfordern, tat er genau dies.
Ich glaube, ich verliebe mich in ihn.
Der Gedanke setzte sie nicht im geringsten in Erstaunen,
und darum folgte der nächste auf den Fuß: Nein, Rosie, ich
glaube, das stand in der Zeitung von gestern. Ich glaube, das ist
schon passiert.
»Was hat Anna bezüglich der Polizei gesagt?« fragte er sie.
»Möchte sie, daß du zu ihnen gehst und Anzeige erstattest?«
Sie erstarrte in seinen Armen, ihr Hals wurde trocken,
während Adrenalin in ihren Kreislauf gepumpt wurde. Nur
ein einziges Wort war dazu erforderlich. Das Wort, das mit P
anfing.
Cops sind eine verschworene Gemeinschaft. Das hatte
Norman
ihr immer wieder gesagt. Unser Justizsystem ist eine
Familie,
und Cops sind Brüder. Rosie wußte nicht, ob das stimmte, wie
weit sie füreinander eintreten würden - oder einander decken
-, aber sie wußte, die Polizisten, die Norman ab und zu mit
nach Hause brachte, waren ihm auf unheimliche Weise ähnlich gewesen, und sie wußte auch, er hatte nie ein böses Wort
gegen einen gesagt, nicht einmal gegen seinen allerersten
Partner bei den Detectives, ein gerissenes, korruptes
Schwein namens Gordon Satterwaite, den Norman verabscheut hatte. Und da war natürlich Harley Bissington, dessen
Hobby es gewesen war - zumindest im Hause Daniels -,
Rosie mit den Augen auszuziehen. Harley

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